2.5.2.1 Begriff der Angelegenheit
Rz. 21
Die Gebühren entgelten i. d. R. die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung des Angelegenheit (§ 15 Abs. 1 RVG). Die jeweilige Gebühr gilt die gesamte Tätigkeit eines Rechtsanwalts in ihrem Tätigkeitsfeld ab.
Rz. 22
Ein Rechtsanwalt kann die Gebühren in derselben Angelegenheit in einem (Gebühren-)Rechtszug nur einmal fordern (§ 15 Abs. 2 Satz 1 RVG). Wird ein Rechtsanwalt in derselben (gebührenrechtlichen) Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig, erhält er die Gebühr nur einmal (§ 7 Abs. 1 RVG; Rz. 32 f.). Auf bereits entstandene Gebühren ist es ohne Einfluss, wenn die Angelegenheit sich vorzeitig erledigt oder der Auftrag endet, bevor die Angelegenheit beendet ist (§ 15 Abs. 4 RVG, Rz. 26).
Der Begriff "derselben gebührenrechtlichen Angelegenheit" ist für die Anwendung der Gebührenvorschriften der §§ 7, 15 Abs. 2, 60 RVG, Nr. 1008 VV RVG, Vorbem. 2.3 Abs. 4 und 3 Abs. 4 VV RVG sowie für den Anfall von Gebühren in Verfahren mit mehreren Beteiligten als Kläger oder Beklagte, in Parallelverfahren von verschiedenen Beteiligten und bei Verbindung oder Trennung von Verfahren relevant. Unter einer (gebührenpflichtigen) "Angelegenheit" ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das ein Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Wann dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne vorliegt, ist im RVG nicht abschließend geregelt. Die anwaltlichen Tätigkeitskataloge der §§ 16 ff. RVG benennen nur Regelbeispiele. Der Gesetzgeber hat die abschließende Klärung des Begriffs "derselben gebührenrechtlichen Angelegenheit" der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen.
Rz. 23
Der Begriff Angelegenheit bezeichnet den für den Einzelfall definierten Rahmen der konkreten Interessenvertretung (äußeren Rahmen) (BSG, Urteil v. 2.4.2014, B 4 AS 27/13 R). Der Begriff des Gegenstandes umschreibt inhaltlich die Rechtsposition, für deren Wahrnehmung die Angelegenheit den äußeren Rahmen abgibt; bezeichnet das konkrete Recht oder das Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts aufgrund des Auftrags bezieht (BGH, Urteil v. 21.6.2011, VI ZR 73/10). Eine Angelegenheit kann mehrere Gegenstände umfassen.
2.5.2.2 Dieselbe Angelegenheit
Rz. 24
Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (BVerwG, Urteil v. 9.5.2000, 11 C 1/99; BGH, Urteil v. 21.6.2011, VI ZR 73/10; BVerfG, Beschluss v. 15.7.1997, 1 BvR 1174/90). Ein innerer Zusammenhang besteht, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammen gehören (BGH, Urteil v. 11.1.2011, VI ZR 64/10). Bei der Beauftragung eines Anwalts durch mehrere Mandanten kann ein einheitlicher Auftrag vorliegen; ggf. muss durch Auslegung ermittelt werden, ob der Anwalt für die verschiedenen Auftraggeber gemeinsam oder ob er für jeden von ihnen gesondert tätig werden sollte (BGH, Urteil v. 27.7.2010, VI ZR 261/09). Für ein Tätigwerden "in derselben Angelegenheit" im gerichtlichen Verfahren genügt es regelmäßig, dass die Begehren mehrerer Auftraggeber einheitlich in demselben Verfahren geltend gemacht werden und zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht (zu den Individualansprüchen nach dem SGB II: BSG Urteil v. 2.4.2014, B 4 AS 27/13 R; zur Beauftragung durch mehrere Auftraggeber: BGH, Urteile v. 11.1.2011, VI ZR 64/10, und v. 21.6.2011, VI ZR 73/10). Zwischen den Gegenständen mehrerer selbstständiger Parallelverfahren kann ein solcher innerer Zusammenhang gegeben sein, wenn der Rechtsanwalt keine nennenswerten unterschiedlichen materiell-rechtlichen und prozessualen Besonderheiten zu beachten hat oder er – losgelöst vom etwaigen Vorliegen rechtlicher Besonderheiten – in den Verfahren auftragsgemäß im Wesentlichen gleichgerichtet vorgeht (BVerwG, Urteil v. 9.5.2000, 11 C 1/99; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 15.8.2011, 2 E 772/11; LSG Thüringen, Beschlüsse v. 5.3.2015, L 6 SF 104/15 B bei Bescheiden nach § 96, und v. 6.11.2014, L 6 SF 1022/14 B zur Verfolgung von Individualansprüchen nach dem SGB II von Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft in getrennten Klageverfahren).
Rz. 25
In § 16 RVG ist der Begriff "dieselbe Angelegenheit" für einige Fallgestaltungen definiert. Für Gebühren in sozialrechtlichen Angelegenheiten sind folgende Ziffern einschlägig:
Nr. 1 |
Verwaltungsverfahren auf Aussetzung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung und Abänderungs- bzw. Aufhebungsverfahren |
Nr. 2 |
Prozesskostenhilfeverfahren und Hauptsacheverfahren (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 6.11.2019, 1 WDS-KSt 2/19 zum Prozesskostenhilfenachprüfungsverfahren nach § 120a ZPO) |
Nr. 3 |
mehrere Prozesskostenhilfeverfahren in einem Rechtszug |
Nr. 12 |
im Kostenfestsetzungs- und -ansatzverfahren mehrere Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde in demselben Beschwerde... |