1 Allgemeines
Rz. 1
Die Vorschrift regelt die Vollstreckung sozialgerichtlicher Titel zugunsten der öffentlichen Hand.
2 Rechtspraxis
Rz. 2
Die meisten Fälle der Vollstreckung von Behörden gegenüber Privatpersonen erfolgen aufgrund eines Verwaltungsaktes nach § 66 SGB X. Wird dieser nach erfolgloser Anfechtungsklage bestandskräftig, so ist nicht das klageabweisende Urteil der Vollstreckungstitel, sondern nach wie vor der angegriffene Verwaltungsakt. Dies gilt auch dann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt durch ein Urteil verändert wurde, also z. B. eine Rückforderung der Höhe nach reduziert wurde. Zu beachten ist allerdings, dass diese Gestaltungswirkung erst dem rechtskräftigen Urteil zukommt (vgl. BFH, Beschluss v. 18.2.2004, IV S 1/04, juris). Wird eine Rückforderung im gerichtlichen Vergleichswege reduziert, so ist genau zu prüfen, ob der angefochtene Verwaltungsakt verändert wurde oder ob die Vergleichsvereinbarung an die Stelle des Verwaltungsaktes treten sollte. Im letzteren Fall ist (nur) eine Vollstreckung nach § 200 möglich.
2.1 Anwendbares Recht
Rz. 3
Zur Anwendung kommt über § 200 in jedem Fall das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes. Dies geschieht nach Abs. 1 bei Bundesbehörden sowie bundesunmittelbaren Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts als Vollstreckungsgläubigern in unmittelbarer Anwendung, im Übrigen nach Abs. 2 in entsprechender Anwendung. Anders als im Rahmen der Verweisung des § 66 Abs. 3 SGB X wird also für die Vollstreckungsregeln nicht auf das jeweilige Landesrecht verwiesen. Lediglich die zuständige Vollstreckungsbehörde wird durch das jeweilige Landesrecht bestimmt, § 200 Abs. 2 Satz 2. Eine solche Bestimmung trifft seit dem 1.1.2011 beispielsweise § 114 Justizgesetz NRW (zuvor in § 4 AG-SGG NRW). Dies dient der Vereinheitlichung des Vollstreckungsrechts, führt allerdings dazu, dass die nach Landesrecht bestimmten Behörden jedenfalls im Bereich der Beitreibung von Geldforderungen die u. U. wenig vertrauten Regeln der Abgabenordnung anzuwenden haben. Dies lässt sich auch nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 2 VwVG umgehen, da es sich bei der Bestimmung der Vollstreckungsbehörde nach § 200 Abs. 2 Satz 2 um die Bestimmung der originären Vollstreckungsbehörde handelt, nicht aber um eine Heranziehung im Wege der Amtshilfe. Bedient sich die durch Landesrecht bestimmte Vollstreckungsbehörde allerdings ihrerseits eines Organs der Länder, so ist dessen Vollstreckungshandlung nach den jeweiligen Landesbestimmungen durchzuführen und zu beurteilen.
Rz. 4
Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in einer gemeinsamen Einrichtung zusammenwirkenden Träger nach dem SGB II ist in § 40 Abs. 6 SGB II gesetzlich angeordnet, dass das VwVG des Bundes Anwendung findet.
Rz. 5
Ist eine sozialrechtliche Forderung lediglich Gegenstand eines Vollstreckungszugriffs, so bestimmt sich das Vollstreckungsrecht nach dem zugrunde liegenden Titel. Vollstreckt also beispielsweise das Finanzamt aufgrund einer durch Steuerbescheid festgestellten Steuerschuld in eine Krankengeldforderung, so richtet sich das Verfahren und insbesondere das Rechtsbehelfssystem unmittelbar nach der AO (vgl. LSG Niedersachsen, Beschluss v. 1.12.1999, L 4 KR 195/99 ER, NZS 2000, 372; zur Pfändung von Sozialleistungen siehe allgemein BSG, Urteil v. 12.5.1982, 7 RAr 20/81, BSGE 53, 260).
2.2 Geeignete Titel
Rz. 6
Alle in § 199 Abs. 1 SGG genannten Titel sind zur Vollstreckung nach § 200 geeignet, soweit sie einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben.
2.3 Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner
Rz. 7
Vollstreckungsgläubiger ist stets die öffentliche Hand. Vollstreckungsschuldner können Privatpersonen ebenso sein wie juristische Personen des öffentlichen Rechts. § 200 eröffnet also auch die Vollstreckung zwischen "öffentlichen Händen" (hierzu ausführlich Wettlaufer, Die Vollstreckung aus Verwaltungs-, sozial- und finanzgerichtlichen Titeln zugunsten der öffentlichen Hand, Diss. 1989, S. 35 ff.). Die wohl überwiegende Gegenansicht verweist darauf, dass das in Bezug genommene VwVG eine Vollstreckung gegenüber der öffentlichen Hand nicht vorsieht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 200 Rn. 2; BSG, Urteil v. 20.4.1988, 3/8 RK 4/87, BSGE 63,144 hält jedenfalls im Unterlassungsstreit zwischen Krankenkassen § 890 ZPO für vorrangig anwendbar). Wegen § 1 Abs. 2 VwVG (Geldforderungen) und § 17 VwVG (Handlungen, Duldungen und Unterlassungen) könne ein Verwaltungsträger nicht gegen andere Verwaltungsträger vollstrecken. Dies ist innerhalb des VwVG auch systemgerecht. Denn das VwVG eröffnet die Eigenvollstreckung der Verwaltungsträger aus selbst gesetzten Verwaltungsakten. Wegen der grundsätzlichen Gleichordnung der öffentlich-rechtlichen Träger ist die Ausübung von Verwaltungszwang aus selbst geschaffenen Titeln bedenklich. Über § 200 findet das VwVG allerdings lediglich entsprechende Anwendung. Vollstreckt wird nur aus Titeln, die von bzw. vor dem Sozialgericht geschaffen wurden. Die damit verbundene erhöhte Richtigkeitsgewähr rechtfertigt es, dass im VwVG vorgesehene Instrumentarium ohne eine generelle Beschränkung der Gruppe der Vollstrecku...