Rz. 4

Durch die Regelung in Abs. 2 Nr. 1 und 2 entsteht für alle Landessozialgerichte in den zahlreichen aufgeführten Schieds- und Aufsichtsangelegenheiten eine erstinstanzliche Zuständigkeit. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/7716 S. 18) wird dazu ausgeführt: Im Sozialgerichtsverfahren spielen Tatsachenfragen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zudem sind existenzielle Leistungen häufig Streitgegenstand. In den meisten sozialgerichtlichen Rechtsbereichen ist daher eine zweite Tatsacheninstanz notwendig. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren sind jedoch Bereiche zu identifizieren, in denen es vorwiegend um die Klärung von Rechtsfragen geht. In diesen Bereichen wird fast zwangsläufig der Weg in die zweite Instanz gegangen – z. T. auch zum Revisionsgericht –, um diese Rechtsfragen endgültig durch ein Obergericht klären zu lassen. Das Sozialgericht erfüllt in diesen Fällen häufig die Funktion einer nicht endgültig streitschlichtenden Instanz. Zur Entlastung der Sozialgerichte und zur Verkürzung der Phase der Unsicherheit, mit der die Parteien während des im Instanzenzug teilweise über Jahre anhängigen Rechtsstreits belastet sind, wird eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialgerichte für die genannten Rechtsstreitigkeiten geschaffen. Dies dient der Prozessökonomie. Die Verfahrensbeteiligten erhalten schneller Rechtssicherheit; insbesondere die Sozialverwaltungen gewinnen rasche Klarheit für die Handhabung einzelner Normen. Die in Abs. 2 bis 4 genannten Verfahren werden i. d. R. vor die Landessozialgerichte getrieben. Die unteren Instanzen werden mit den häufig sehr komplexen und schwierigen Sachverhalten i. d. R. nicht befasst, um den Rechtsstreit einer endgültigen Klärung zuzuführen, sondern um die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Landessozialgerichts herbeizuführen. Richter und Urkundsbeamte werden durch solche durchlaufenden Verfahren in erheblichem Maße belastet. Für die Justizhaushalte entstehen finanzielle Belastungen. Gleichzeitig wird die Erledigung vergleichsweise unkomplizierter Verfahren blockiert. Die Konzentration der Verfahren aus den in Abs. 3 und 4 genannten Bereichen vor einem bestimmten Landessozialgericht führt dazu, dass das dort aufgebaute Erfahrungswissen unmittelbar genutzt wird. Die Zuständigkeit erstreckt sich auch auf Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz. Auf die instanzliche und örtliche Zuständigkeit für vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung anhängige Klageverfahren wirkt sich die Änderung in der Zuständigkeit nicht aus (Grundsatz der perpetuatio fori, § 98 SGG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG).

 

Rz. 4a

Die erstinstanzliche Zuständigkeit aller Landessozialgerichte ist um Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendung nach § 6b SGB II (Jobcenter) und Normkontrollverfahren gemäß § 55a erweitert worden. Ferner ist die erstinstanzliche Zuständigkeit durch Anfügung von Nr. 5 um Streitigkeiten nach § 4a SGB V (allgemeine wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten der Krankenkassen untereinander) ergänzt worden.

 

Rz. 5

Unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie, der Beschleunigung des Verfahrens und der Entlastung der Sozialgerichte ist es zu begrüßen, dass für bestimmte Rechtsstreitigkeiten, die i. d. R. einen besonders hohen Bearbeitungsaufwand erfordern, eine erstinstanzliche Zuständigkeit der mit 3 Berufsrichtern besetzten Landessozialgerichte eingeführt worden ist. Zugleich kann es nur positiv bewertet werden, dass für die in Abs. 3 und 4 genannten Verfahren die bundesweite (alleinige) erstinstanzliche Zuständigkeit bestimmter Landessozialgerichte festgelegt worden ist. Dem Gesetzgeber ist jedoch hinsichtlich eines Teil seiner Gesetzesbegründung zu widersprechen, wenn er – recht pauschal – davon ausgeht, dass die Sozialgerichte mit diesen Rechtsstreitigkeiten nicht zur endgültigen Klärung, sondern nur zur Vorbereitung eines obergerichtlichen Verfahrens befasst wurden. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil eine nicht unerhebliche Anzahl der in Abs. 2 bis 4 genannten Verfahren vor den Sozialgerichten endgültig erledigt wurden. Im Übrigen sollte die verantwortungsvoll und rechtlich wertvolle Arbeit der Sozialgerichte nicht dadurch herabgewürdigt werden, dass der Gesetzgeber von "durchlaufenden Verfahren" spricht oder suggeriert, dass Sozialgerichte Rechtsfragen nicht endgültig klären können.

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