Rz. 32
Ebenfalls ausgeschlossen sind Richter (oder Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, § 49 ZPO) in Sachen, in denen sie als Prozessbevollmächtigte oder Beistand eines Beteiligten bestellt oder als gesetzliche Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt sind oder gewesen sind.
Rz. 33
Der Ausschließungsgrund trägt dem Umstand Rechnung, dass die Stellung als Interessenvertreter im Prozess mit der Ausübung des Richteramtes wegen des aus Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG resultierenden Rechts der Parteien unvereinbar ist, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Parteien bietet (BVerfG, Beschluss v. 23.5.2012, 2 BvR 610/12, 2 BvR 625/12). Der Ausschlussgrund des § 41 Nr. 4 ZPO dient der Vermeidung von Interessenkonflikten und beruht auf dem Grundgedanken, dass eine unvoreingenommene, unparteiliche Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr erwartet werden kann, wenn der Richter selbst berechtigt und verpflichtet ist oder gewesen ist, die Interessen einer am Rechtsstreit beteiligten Partei wahrzunehmen (BSG, Beschluss v. 9.2.2011, B 6 KA 52/10 B; Urteil v. 5.8.1992, 14a/6 RKa 30/91). Eine der Neutralitätsverpflichtung zuwiderlaufende Tätigkeit in eigener Sache soll nicht möglich sein (vgl. BVerfG, Beschluss v. 3.6.1980, 1 BvL 114/78).
Rz. 34
Das Tatbestandsmerkmal "in Sachen, in denen er ..." ist in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn zu verstehen (BVerfG, Beschluss v. 5.4.1990, 2 BvR 413/88; vgl. auch VGH Bayern, Beschluss v. 21.11.1980, 11 CS 80 D.61). Die Vertretungsbefugnis muss in derselben Angelegenheit, nicht notwendig im selben Verfahren bestanden haben (vgl. LSG Hessen, 13.7.2005, Urteil v. L 6/7 KA 564/02). Eine Tätigkeit in einem Parallelverfahren reicht für sich genommen allerdings nicht aus. Eine solche Tätigkeit ist keine Tätigkeit in derselben "Sache" i. S. v. § 41 Nr. 4 ZPO; erforderlich ist dafür die Gleichheit des Streitgegenstandes (BVerfG, Beschluss v. 5.4.1990, 2 BvR 413/88; BAG, Beschluss v. 7.11.2012, 7 AZR 646/10 (A); RG, Urteil v. 21.4.1936, III 161/35). Daher soll § 41 Nr 4 ZPO auch dann anzuwenden sein, wenn die in ihm genannten Ausschließungsgründe in einem Rechtsstreit über dieselbe streitgegenständliche Frage vorliegen (BSG, Urteil v. 18.2.1988, 6 RKa 24/87 m. w. N. auf u. a. RG, Urteil v. 21.4.1936, III 161/35).
Rz. 35
Die Entscheidung überzeugt eher weniger, weil das BSG (a. a. O.) seine Erkenntnis nicht begründet, vielmehr nur unter Hinweis auf insoweit nicht weiterführende Kommentarliteratur behauptet hat. Die Bezugnahme auf das RG (Urteil v. 21.4.1936, III 161/35) trägt auch nicht, denn dieses stellt gleichermaßen nur eine Behauptung auf ("Es genügt die Gleichheit des Streitgegenstandes."). Das indessen ist zu begründen. Der Wortlaut "in Sachen" ist offen und kann "dieselbe Sache", aber auch die "gleiche Sache" meinen. Wird auf Sinn und Zweck der Regelung abgehoben, dann spricht viel dafür, einen zu vermeidenden Interessenkonflikt auch dann zu erkennen, wenn der Richter in einem Parallelverfahren tätig wird, in dem es um dieselbe Rechtsfrage geht. Dennoch ist Zurückhaltung geboten. Die Norm ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen (vgl. Rz. 21). Infolgedessen sollte der Ausschluss nur greifen, wenn das Parallelverfahren präjudiziert.
Rz. 36
"Dieselbe Sache" kann auch das dem Gerichtsverfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren sein. Als Richter ist daher ausgeschlossen, wer als Bevollmächtigter oder Beistand im "Verwaltungsverfahren" tätig war (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 11.3.1955, IV b V 1424/54).
Rz. 37
In Entschädigungsklagen nach § 198 GVG ist der LSG-Präsident ausgeschlossen, wenn er landesrechtlich als Vertreter des beklagten Landes tätig wird (hierzu ausführlich Frehse, Kompensation-ÜGG, S. 1142 f.). Hat das Land die Prozessvertretung auf den Obergerichtspräsidenten delegiert, ist dieser gehindert, einem für Entschädigungsklagen nach § 198 GVG zuständigen Spruchkörper vorzusitzen. Zwar kann er von seinem Bestimmungsrecht nach § 21e Abs. 1 Satz 3 GVG Gebrauch machen, indessen greift ein Ausschlussgrund nach § 41 Nr. 4 ZPO (Frehse, a. a. O., S. 1194). Im Übrigen wäre ein von einem Gerichtspräsidenten oder Vizepräsidenten geführter Entschädigungsspruchkörper kein Gericht i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EMRK (Frehse, a. a. O.). Nach den Maßgaben des EGMR sind Gerichtspräsidenten und deren ständige Vertreter in solchen Verfahren nicht objektiv unparteilich. In ihrer Funktion als Gerichtsleiter unterstehen sie hierarchisch dem jeweils zuständigen Landes- oder Bundesministerium, also dem beklagten Haftungssubjekt (vertiefend Frehse, a. a. O., S. 222 f.).
Rz. 38
Unschädlich ist es, wenn der Richter in einer früheren Sache tätig war (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 41 Rn. 12). Ein Richter ist daher i. d. R. nicht ausgeschlossen, wenn er in einem früheren Verfahren gegen denselben Angeklagten als Staatsanwalt tätig war und die in jenem Verfahren verhängte Strafe nunmehr in die zu b...