Rz. 63

Ein Richter ist ausgeschlossen in Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren, wenn er in dem beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird. Der Ausschluss bezieht sich auf Entschädigungsverfahren nach § 198 GVG. Diese Regelung ist durch Art. 5 Nr. 2 des Gesetzes v. 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) mit Wirkung zum 3.12.2011 eingeführt worden. Hierdurch soll erreicht werden, dass den Spruchkörpern der Entschädigungsgerichte in Verfahren, in denen Entschädigungen wegen unangemessener Dauer von Gerichtsverfahren geltend gemacht werden, keine Richter angehören, die an dem beanstandeten Verfahren in dem Rechtszug mitgewirkt haben, dessen überlange Dauer Grundlage des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist. Damit soll dem Anschein mangelnder Unvoreingenommenheit und ansonsten zu erwartender Befangenheitsgesuche vorgebeugt werden (BT-Drs. 17/3802 S. 37). Die Ergänzung des § 41 ZPO um Nr. 7 war vor diesem Hintergrund nachgerade zwingend. Dies gilt umso mehr, als eine erweiternde oder analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf die nunmehr in § 41 Nr. 7 ZPO geregelten Sachverhalte angesichts des Ausnahmecharakters ausgeschlossen gewesen wäre (vertiefend zur Entstehungsgeschichte des § 41 Nr. 7 ZPO: Frehse, Kompensation-ÜGG, S. 641 f.). Die Aufzählung der Ausschließungsgründe in § 41 ZPO ist abschließend (vgl. Rz. 10, 48 und 59; hierzu auch BFH, Beschluss v. 12.9.2007, X B 18/03; BGH, Urteil v. 4.12.1989, RiZ (R) 5/89).

 

Rz. 64

Das beanstandete Verfahrenn ist jenes, das Gegenstand der Entschädigungsklage ist (§ 198 GVG). Dieses Ausgangsverfahren wird in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG umschrieben. Als ein Verfahren gilt hiernach der gesamte Zeitraum von der Einleitung eines Verfahrens in der ersten Instanz bis zur endgültigen rechtskräftigen Entscheidung (hierzu ausführlich Frehse, Kompensation-ÜGG, S. 733 ff.). Folgt dem Entschädigungsverfahren ein Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren und haben die Richter des Hauptsachverfahrens hieran nicht mitgewirkt, dann sind sie mangels Mitwirkung nicht ausgeschlossen, wenn das Erinnerungsverfahren zum Gegenstand eines Entschädigungsanspruchs gemacht wird. Das Erinnerungsverfahren ist entschädigungsrechtlich ein neues Verfahren (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 3.9.2014, L 11 SF 201/13 EK AS, str.; ausführlich hierzu Frehse, a. a. O., S. 759 ff.).

 

Rz. 65

Soweit eine weite Auslegung der Norm verfochten wird, ist dem nicht zu folgen. So meint das LSG Mecklenburg-Vorpommern, dass aus Gründen der Rechtsklarheit unter Mitwirkung im Sinne dieser Vorschrift jedwede Tätigkeit in der Gerichtsakte im zuständigen Senat während der Zeit der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens, gleich welchen Umfanges anzusehen ist, um ohne weitere Prüfung den Kreis der in diesem Sinne "mitwirkenden Richter" bestimmen zu können. Ansonsten käme nur in Betracht, im jeweiligen Einzelfall bei geringen Mitwirkungshandlungen zu prüfen, ob diese Relevanz für die Verfahrensdauer hatten, wobei letztlich die Frage, ob ein Richter aus dem Verfahren ausgeschlossen ist, bereits zur Vorprüfung der materiellen Rechtslage führen würde, was dann die Handhabung der Vorschrift nicht einfacher gestalten würde. Daher sei eine weite Auslegung der Vorschrift geboten, die es ermögliche, den Kreis der "mitwirkenden Richter" schnell bestimmen zu können (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 16.12.2015, L 12 SF 1/15 EK VE WA). Dem ist nicht zuzustimmen. Insoweit wird verkannt, dass auch § 41 Nr. 7 ZPO einen Ausnahmetatbestand benennt und einer erweiternden oder analogen Anwendung nicht zugänglich ist (dazu Rz. 10, 48, 59, 63). Auch § 41 Nr. 7 ZPO ist nach Maßgabe des Wortlauts zu interpretieren (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 3.9.2014, L 11 SF 201/13 EK AS). Der Begriff "Mitwirkung" ist nicht anders auszulegen, als in § 41 Nr. 6 ZPO (Rz. 51 ff.). Die Parallele "früherer Rechtszug" zum "beanstandeten Verfahren" ist offenkundig. Der Tätigkeit im früheren Rechtszug entspricht die Tätigkeit im Ausgangsverfahren (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 3.9.2014, L 11 SF 201/13 EK AS; Frehse, Kompensation-ÜGG, S. 641). Allerdings grenzt § 41 Nr. 6 ZPO dahin ein, dass der Ausschluss nur greift, wenn der Richter beim Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Das findet sich in § 41 Nr. 7 ZPO so nicht wieder. Zwar kann ein Mitwirken i. S. einer weiten Auslegung auch dann vorliegen, wenn der Richter lediglich eine Eingangs- oder Wiedervorlageverfügung paraphiert. Angesichts der Zielrichtung des § 41 Nr. 8 ZPO läßt sich hieraus indessen nichts dazu herleiten, dass er schon deswegen in der Sache vor "belastet" sein könnte. Der Begriff Mitwirkung ist daher dahin zu interpretieren, dass dem nur Sachentscheidungen zugeordnet werden können. Das betrifft u. a. aus dem Ausgangsverfahren abgeleitete Nebenverfahren. Mitwirkung meint daher, die Beteiligung an einer im Ausgangsverfahren getroffenen Entscheidung. Richterliche Verfügungen rechnen hierzu grundsätzlich ...

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