Rz. 173
Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. § 43 ZPO stellt eine unwiderlegliche Vermutung dafür auf, dass ein Beteiligter mit der Person desjenigen Richters einverstanden ist, vor dem er sich trotz Kenntnis eines Ablehnungsgrundes in eine Verhandlung einlässt oder Anträge stellt (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 43 ZPO Rn. 1; abgrenzend zur Fiktion vgl. Zippelius, S. 36). Die Norm setzt der Dispositionsbefugnis des Ablehnenden im Interesse der Prozessförderung eine zeitliche Schranke. Dieser soll nicht erst den Ausgang des Verfahrens abwarten dürfen. Im Ablehnungsverfahren gegen einen Sachverständigen ist § 43 ZPO entsprechend anzuwenden (OLG Bamberg, Beschluss v. 2.5.2016, 4 W 38/16).
Rz. 174
Umstritten ist die rechtliche Einordnung der Vorschrift. Sie wird teils als Unterfall des § 295 ZPO angesehen (Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 43 Rn. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 43 Rn. 1: spezieller Heilungstatbestand; i. d. S. auch BGH, Urteil v. 7.12.2005, XII ZR 94/03), teils als Spezialvorschrift zu § 282 ZPO gewertet (Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, § 43 Rn. 1). Eine dritte Auffassung versteht die Norm im Zusammenspiel mit § 44 Abs. 4 ZPO als eine negative Zulässigkeitsvoraussetzung (Wieczorek/Schütze/Niemann, ZPO, § 43 Rn. 2; Prütting/Gehrlein/Graßnak, ZPO, § 43 Rn. 1). Ausgehend von diesen Auffassungen ergeben sich unterschiedliche Rechtsfolgen. So wird darauf hingewiesen, dass die prozessuale Befugnis der Partei zur Ablehnung nach § 42 ZPO ihrer Disposition unterliege. Dieser Dispositionsfreiheit setze § 43 ZPO eine zeitliche Grenze, so dass bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung ein entsprechendes Ablehnungsgesuch unzulässig werde (so Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, § 43 Rn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 43 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 43 Rn. 2; i. d. S. auch BFH, Beschluss v. 6.7.2005, II R 28/02; Urteil v. 23.5.2000, VIII R 20/99; OLG Hamm, Beschluss v. 28.7.2015, 9 U 160/13). Demgegenüber wird von anderen vertreten, das versäumte Ablehnungsrecht sei unbegründet (BGH, Urteil v. 7.12.2005, XII ZR 94/03; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 43 Rn. 1; Vorwerk/Wolf/Vossler, BeckOK-ZPO, § 43 Rn. 12). Dem ist nicht zu folgen. Hat der Beteiligte das Ablehnungsrecht verloren ("kann nicht mehr ablehnen"), entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für ein Befangenheitsgesuch; es wird unzulässig.
Rz. 175
Der Gesetzeswortlaut regelt ausdrücklich nur den Fall, dass die Partei trotz Kenntnis des Ablehnungsgrundes zunächst darauf verzichtet, diesen geltend zu machen und sich auf die weitere Verhandlung einlässt. Dies entspricht dem Zweck der Norm, eine an der Unbefangenheit des Richters zweifelnde Partei anzuhalten, dies alsbald kundzutun; dadurch soll ihr unter anderem die Möglichkeit genommen werden, einen Rechtsstreit willkürlich zu verzögern und bereits geleistete prozessuale Arbeit nutzlos zu machen (BGH, Beschluss v. 26.4.2016, VIII ZB 47/15). Der Beteiligte muss positive Kenntnis vom Ablehnungsgrund haben; ein Kennenmüssen (§ 122 Abs. 2 BGB) genügt nicht, um das Ablehnungsrecht auszuschließen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 20.6.2016, 13 A 1377/15; OLG München, Urteil v. 26.3.2014, 15 U 4783/12). Die Kenntnis muss sich auf alle den Grund der Ablehnung bildenden Tatsachen erstrecken und die Kenntnis von der Person des Richters dann einbeziehen, wenn sich die Ablehnung auf eine persönliche Beziehung zu diesem gründet (Wieczorek/Schütze/Niemann, ZPO, § 43 Rn. 3; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 43 Rn. 3). Die Kenntnis des Prozessbevollmächtigten wird dem Beteiligten zugerechnet (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 10.3.2011, L 3 SF 8/11 SAB; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 17.2.2010, I-11 W 89/09). Umgekehrt genügt die Kenntnis der Partei, auch wenn sie der Prozessbevollmächtigte nicht hat (Wieczorek/Schütze/Niemann, a. a. O.).
Rz. 176
Muss die Partei damit rechnen, dass ein in einem früheren Verfahren tätig gewordener Richter, den sie für befangen hält, auch nunmehr für das Verfahren zuständig ist, und lässt sie sich ohne Klärung des nach dem Geschäftsverteilungsplan für das Verfahren zuständigen Richters in die Verhandlung ein oder stellt sie Anträge, muss sie sich so behandeln lassen, als ob sie Kenntnis von der Person des zuständigen Richters hat (so OLG Saarbrücken, Beschluss v. 25.8.2009, 9 WF 69/09). Diese Entscheidung begegnet aus zwei Gründen Bedenken. Zum einen besteht ein Recht auf namentliche Bekanntgabe der mitwirkenden Richter nur eingeschränkt (vgl. Rz. 7; a. A. Prütting/Gehrlein/Graßnak, ZPO, § 43 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Niemann, ZPO, § 44 Rn. 5; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 43 Rn. 3). Dem lässt sich entgegnen, indem mit dem OLG verlangt wird, der Beteiligte müsse sich Kenntnis vom Inhalt des Geschäftsverteilungsplanes verschaffen. Zum anderen aber gilt, dass der Beteiligte das Ablehnungsrecht nur dann verli...