1 Allgemeines
Rz. 1
Für die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung verweist das SGG auf die Vorschriften des GVG. § 61 entspricht im Wesentlichen § 55 VwGO und § 52 FGO. Die Norm ist seit dem Inkrafttreten des SGG zweimal geändert worden. Art. 9 des Gesetzes (Opferschutzgesetz) v. 18.12.1986 (BGBl. I S. 2496) änderte § 61 Abs. 1 SGG in der Fassung der Bekanntmachung v. 23.9.1975 (BGBl. I S. 2535) mit Wirkung zum 1.4.1987. § 61 Abs. 1 Satz 2 wurde aufgehoben (Art. 9 Nr. 2) und die Verweisung "§§ 169, 172 bis 191" in § 61 Abs. 1 Satz 1 durch die Verweisung "§ 169, 171b bis 191" ersetzt (Art. 9 Nr. 1). Eine weitere Änderung hat die Vorschrift durch Art. 8 Nr. 0 Buchst. b des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) v. 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198, 2205) mit Wirkung zum 1.9.2004 erfahren. In Abs. 1 wurde die Angabe "191" durch "191a" ersetzt. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/3482 S. 24) heißt es hierzu:
"Eine blinde oder sehbehinderte Person kann nach § 191a Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes verlangen, dass ihr gerichtliche Schriftstücke auch in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden. Mit der Änderung soll erreicht werden, dass diese Vorschrift, die für das verwaltungsgerichtliche (§ 55 Verwaltungsgerichtsordnung), für das finanzgerichtliche (§ 52 Finanzgerichtsordnung), für das arbeitsgerichtliche (§ 9 Arbeitsgerichtsgesetz) und für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 8 Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) entsprechend gilt, auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist."
In Abs. 2 wurde die Angabe "198" durch "197" ersetzt. Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich dabei um eine redaktionelle Änderung, da § 198 GVG durch § 85 Nr. 13 DRiG v. 8.9.1961 (BGBl. I S. 1665) aufgehoben worden ist. Art. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren v. 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302) wies § 198 einen neuen Inhalt zu und fügte dem GVG die §§ 199 bis 201 an (hierzu ausführlich Frehse, Die Kompensation der verlorenen Zeit, 2017).
2 Rechtspraxis
2.1 Öffentlichkeit
2.1.1 Grundsatz
Rz. 2
Bei dem Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 GVG) handelt es sich um einen zentralen Grundsatz des Prozessrechts. Die Öffentlichkeit der Verhandlung erfordert, dass jedermann nach Maßgabe des verfügbaren Raums Zutritt zur Verhandlung ermöglicht wird (BAG, Beschluss v. 22.9.2016, 6 AZN 376/16, NJW 2016, 3611 ff.; Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 21 m. w. N.; vgl. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 61 Rn. 2; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 61 Anm. 3, Klotz, NJW 2011 S. 1186 ff.). Der an der mündlichen Verhandlung potentiell teilnehmende Personenkreis muss unbestimmt sein (Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, § 55 Rn. 1). Erforderlich ist, dass sich jedermann Kenntnis über Zeit und Ort einer Verhandlung verschaffen kann (BVerfG, Beschluss v. 5.7.2006, 2 BvR 998/06, NJW-RR 2006 S. 1653; BAG, Beschluss v. 22.9.2016, 6 AZN 376/16, NJW 2016 S. 3611; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 169 GVG Rn. 3). Eine mündliche Verhandlung ist öffentlich, wenn sie in Räumen stattfindet, die während deren Dauer jedermann zugänglich sind (BVerwG, Beschlüsse v. 23.11.1989, 6 C 29.88, Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 91 S. 38, und v. 15.3.2012, 4 B 11.12, BauR 2012 S. 1097). Das Merkmal der Öffentlichkeit setzt keine an jedermann gerichtete Bekanntgabe voraus, wann und wo eine Gerichtsverhandlung stattfindet (BVerwG, Beschlüsse v. 15.9.1994, 1 B 170/93, Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 8, und v. 25.6.1998, 7 B 120.98, Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 9). Denn der Grundsatz der Öffentlichkeit gebietet es nicht, dass jedermann weiß, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält (BVerfG, Beschluss v. 10.10.2001, 2 BvR 1620/01, NJW 2002 S. 814), und auch nicht, dass die mündliche Verhandlung in jedem Fall durch Aushang bekannt gemacht werden muss (BVerwG, Beschluss v. 20.7.2016, 8 B 1/15, LKV 2016 S. 457; Beschluss v. 14.6.2016, 4 B 45/15; Beschluss v. 17.11.1989, 4 C 39.89; Beschluss v. 25.7.1972, 4 CB 60.70, JR 1972 S. 521). Üblich sind jedoch Terminzettel oder Anzeigetafel jedenfalls am Sitzungssaal. Wird der Terminplan im Internet veröffentlicht, ist das wegen Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen unzulässig (hierzu Lückemann, in: Zöller, § 169 GVG Rn. 3). Unkritisch ist es hingegen, wenn die maßgeblichen Daten (Namen der Beteiligten und der an der Entscheidung mitwirkenden Richter) nicht veröffentlicht oder sonst anonymisiert werden (zur Anonymisierung vgl. auch Müller-Horn, DRiZ 2012 S. 81, 82).
Rz. 3
Eine Beeinträchtigung der Öffentlichkeit ist gegeben, wenn die Tür zum Gerichtsgebäude etwa bei einer späten Terminstunde geschlossen ist und ein Zuhörer sich auch durch Betätigung einer Klingel nicht mehr Einlass verschaffen kann. Bei öffentlichen Sitzungen muss durchgehend gewährleistet sein, dass der Zutritt im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten deutlich erkennbar gestattet ist (BVerwG...