Rz. 19
§ 174 ZPO schafft eine erleichterte Möglichkeit der Zustellung an Zustellungsadressaten, bei denen aufgrund ihres Berufes mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann, dass sie das Empfangsbekenntnis unverzüglich zurücksenden. Die Norm nennt den Kreis der Personen, an die gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden kann und eröffnet die Möglichkeit, die Mittel der modernen Bürokommunikation für die Zustellung zu nutzen. Gegen Empfangsbekenntnis wird insbesondere zugestellt an Rechtsanwälte und Behörden. Das Gericht kann sich der vereinfachten Zustellung nach § 174 ZPO bedienen, muss dies aber nicht. Besteht etwa der Verdacht, dass Empfangsbekenntnisse nicht zum Zeitpunkt des tatsächlichen Empfangs unterschrieben werden und damit das besondere Vertrauen, das der Gesetzgeber in die in § 174 Abs. 1 ZPO genannten Personen setzt (vgl. BSG, Urteil v. 23.3.1966, 9 RV 334/63, SozR Nr. 4 zu § 5 VwZG), nicht gerechtfertigt ist, kann auch auf andere Weise zugestellt werden.
Rz. 20
Die Zustellung von Amts wegen nach § 174 Abs. 1 ZPO ist dann wirksam, wenn das mit Empfangsbekenntnis zugestellte Schriftstück in den Machtbereich des Zustellungsadressaten gelangt ist. Ein von einer Rechtsanwaltsfachangestellten des Prozessbevollmächtigten unterzeichnetes Empfangsbekenntnis bewirkt hingegen keine Zustellung, denn ein Rechtsanwalt als Zustellungsadressat kann sein Büropersonal nicht wirksam zur Entgegennahme von Zustellungen gegen Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO ermächtigen (BSG, Beschluss v. 23.4.2009, B 9 VG 22/08 B, NJW 2010 S. 317; vgl. auch Rz. 22 ff.). Der Zustellungsadressat kann bei nicht natürlichen Personen grundsätzlich nur der "Leiter" der Behörde sein, an den die Zustellung zu bewirken ist (§ 170 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 63 Abs. 2 SGG). Damit ist bei Behörden die Zustellung nur ab dem Zeitpunkt wirksam, zu dem das zuzustellende Schriftstück dem Behördenleiter oder dem im Prozess Vertretungsberechtigten der Behörde zugegangen ist. Dieser ist berechtigt, das Empfangsbekenntnis zu unterschreiben. Bedienstete der Poststelle einer Behörde gehören nicht zu diesem Personenkreis (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 30.6.2008, L 1 U 3732/07, UV-Recht Aktuell 2008 S. 983). Die Entscheidung des Zustellungsadressaten, ein vom Absender übersandtes Schriftstück nicht im Original, sondern auf andere Weise (Kopie oder elektronische Datei) zum Zwecke der Zustellung zur Kenntnis zu nehmen, begründet keinen Zustellungsmangel (LSG Baden-Württemberg, a. a. O.). § 63 Abs. 2 Satz 2 stellt klar, dass u. a. die Verbandsvertreter den beispielhaft aufgeführten Berufsgruppen, bei denen aufgrund ihres Berufs von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann, gleichstehen.
Rz. 21
Das ausgefüllte Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich den vollen Beweis dafür, dass das Schriftstück an dem vom Empfänger angegebenen Tag tatsächlich zugestellt wurde (§ 53 Abs. 2 Satz 1 SGG, §§ 174 und 418 Abs. 1 ZPO). Die wirksame Zustellung gegen Empfangsbekenntnis setzt nicht nur den Zugang der Sendung beim Empfänger oder dessen Kenntnisnahme voraus, sondern darüber hinaus auch eine Zustellungsabsicht (hierzu Stöber, in: Zöller, ZPO, § 174 Rn. 5) des Absenders und Annahmewillen oder Empfangsbereitschaft des Empfängers. Erforderlich ist die mindestens konkludente Äußerung, die Sendung als zugestellt annehmen zu wollen (vgl. BVerwG, Beschluss v. 29.4.2011, 8 B 86/10, Buchholz 310 § 56 VwGO Nr. 13; Beschluss v. 12.10.1984, 1 B 57.84, Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 10; Beschluss v. 29.4.2011, 8 B 86/10; BFH, Beschluss v. 1.3.2005, X B 158/04; Beschluss v. 14.9.1998, VII B 135/98; Beschluss v. 9.4.1987, V B 111/86;BGH, Urteil v. 22.11.1988, VI ZR 226/87, NJW 1989 S. 1154; OLG Hamm, Urteil v. 12.1.2010, 4 U 193/09, NJW 2010 S. 3380, 3381; Urteil v. 31.5.1979, VII ZR 290/78; Stöber, a. a. O., ZPO, § 174 Rn. 6). Die Äußerung des Willens, das Schriftstück zur Zustellung anzunehmen (Empfangsbereitschaft) ist zwingende Voraussetzung der wirksamen Zustellung (BVerfG, Beschluss v. 27.3.2001, 2 BvR 2211/97, NJW 2001 S. 1563; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 11.1.2017, OVG 3 N 137.16; Stöber, a. a. O.). Ein Mangel des Empfangswillens kann nicht nach § 189 ZPO geheilt werden (BVerwG, Beschluss v. 29.4.2011, 8 B 86/10, Buchholz 310 § 56 VwGO Nr. 13).
Rz. 22
Die Zustellung an einen Rechtsanwalt kann gemäß § 174 Abs. 1 ZPO gegen Empfangsbekenntnis erfolgen, welches den Nachweis für die Zustellung erbringt (§ 174 Abs. 4 ZPO) und die Zustellungsurkunde nach § 182 ZPO ersetzt. Ein Rechtsanwalt kann seinen Annahmewillen auf beliebige Weise schriftlich betätigen. Setzt er seine Unterschrift unter das zugehörige Empfangsbekenntnis, dokumentiert er, dass er Annahmewillen hat, dass er also das Schriftstück mit dem Willen entgegennimmt, die Zustellung als bewirkt gelten zu lassen (BGH, Urteil v. 25. 5. 1987, II ZR 297/86, NJW-RR 1987, 1151; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 13.7.2010, 19 B 884/10, NJW 2010, 3385). Der Annahmewille kann auch rückwirkend in einem Schriftsat...