2.4.1 Überblick

 

Rz. 15

Die Frage nach dem Geltungsbereich bezieht sich zuvörderst darauf, wer mit wem elektronisch kommunizieren darf (Kommunikationsebene) und welche Dokumente elektronisch bei Gericht eingereicht werden können. § 65a Abs. 1 bis 6 beziehen sich auf die elektronische Kommunikation im Posteingang. § 65a Abs. 7 betrifft demgegenüber den elektronischen gerichtlichen Postausgang. Nicht erfasst wird das vorgerichtliche Widerspruchsverfahren. Die Vorschrift befasst sich auch nicht mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen elektronische Dokumente als (zulässige) Beweismittel (dazu auch Rz. 22 und 36) dienen können oder einem Beweisverwertungsverbot unterliegen (zu elektronischen Dokumenten zu Beweiszwecken vgl. auch BR-Drs. 645/17 S. 11).

 

Rz. 16

Beteiligte und Dritte sind nicht verpflichtet, mit dem Gericht elektronisch zu kommunizieren. Es handelt sich um ein Angebot ("können"). Ihnen bleibt es unbenommen, den herkömmlichen Postweg oder andere technische Medien zu nutzen. Jedenfalls aber ab 1.1.2022 sind Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse verpflichtet, elektronisch mit dem Gericht zu kommunizieren (§ 65d).

2.4.2 Kommunikationsebene (§ 65a Abs. 1)

 

Rz. 17

Wortlaut und Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/4067 S. 24 f.) belegen, dass die gesamte Kommunikation zwischen den Beteiligten, Dritten und dem Gericht dem elektronischen Rechtsverkehr zugeordnet werden kann. Allerdings gilt einschränkend, dass nur der Posteingang nicht hingegen der gerichtliche Postausgang betroffen ist (vgl. dazu Rz. 15).

 

Rz. 18

Die Norm bezieht sich ausweislich des Wortlauts auf Beteiligte und Dritte. Beteiligte sind Hauptbeteiligte (Kläger und Beklagter) sowie die Beigeladenen (§ 69). Dritte waren von der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes v. 10.10.2013 (dazu Rz. 4) maßgebenden Fassung des § 65a Abs. 1 nicht erfasst. Diese Regelungslücke war über § 202 SGG i. V. m. § 130a ZPO zu schließen. Der Gesetzgeber hat die Lücke erkannt und geschlossen. Seither können auch Dritte dem Gericht elektronische Dokumente zuleiten. Dritte sind alle am Verfahren mitwirkenden juristischen und natürlichen Personen, die nicht schon Beteiligte i. S. d. § 69 sind.

 

Rz. 19

Die Vorschrift betrifft nur die elektronische Kommunikation mit einem Gericht. Das sind im Anwendungsbereich des SGG die Sozialgerichte, die Landessozialgerichte und das BSG. Die Organisationseinheit "Gericht" besteht aus "Rechtsprechung" und unterstützender Verwaltungsabteilung. Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt (Art. 92 GG). Gericht i. S. d. § 65a ist nur Rechtsprechung i. S. d. Art. 92 ff. GG (hierzu auch Rz. 73). Geregelt wird daher nur der elektronische Rechtsverkehr mit den Rechtsprechung ausübenden Spruchkörpern des Gerichts. Das vorgerichtliche Widerspruchsverfahren unterfällt § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 36a Abs. 2 SGB I.

2.4.3 Elektronische Dokumente (§ 65a Abs. 1)

 

Rz. 20

Zu klären sind zwei Problembereiche, nämlich welche Dokumente elektronisch transferiert werden können und was mit dem Adjektiv elektronisch gemeint ist.

 

Rz. 21

Die Vorschrift erfasst die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen. Hierunter fallen auch bestimmende Schriftsätze, also solche, die nicht nur einen späteren Vortrag ankündigen, sondern mit der Einreichung bzw. Zustellung als Prozesshandlung wirksam werdende Erklärungen enthalten. Einheitliche Formanforderungen sollen auch für sonstige vorbereitende Schriftsätze gelten (BT-Drs. 17/12634 S. 37). Einbezogen sind ferner Auskünfte, Gutachten, Aussagen, Übersetzungen und Erklärungen Dritter (BT-Drs. 17/12634 S. 25).

 

Rz. 22

Nicht anwendbar ist die Vorschrift auf Behördenakten (§ 104 SGG). Solche Verwaltungsvorgänge werden nicht lediglich als zu einem (vorbereitenden) Schriftsatz vorgelegt. Es handelt sich vielmehr um einen dem Beweisrecht zuzuordnen prozessualen Vorgang, der Teil der Amtsermittlungspflicht des Vorsitzenden bzw. des Berichterstatters ist. Die Dateiformate vorzulegender elektronischer Verwaltungsakten sind daher nicht auf die zulässigen Formate der ERV-Rechtsverordnung (ERVV) beschränkt (Müller, NZS 2018 S. 207, 211, 212; hierzu auch BR-Drs. 645/17 S. 11 und unten Rz. 37).

 

Rz. 23

Ein elektronisches Dokument ist eine Datei, die mit Mitteln der Datenverarbeitung erstellt, auf einem Datenträger aufgezeichnet werden kann und (bereits) in dieser Form maßgeblich ist (BFH, Beschluss v. 23.8.2022, VIII S 3/22). Hierzu rechnen in elektronischer Form vorliegende Schriftstücke, Bilder, Filme und andere mit welchem Suffix auch immer versehene Dateien, einschließlich eingescannter Originale. Das Nähere bestimmt die nach § 65a Abs. 2 Satz 2 von der Bundesregierung erlassene Rechtsverordnung (dazu Rz. 25 ff.).

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