Rz. 44
Außerhalb eines sicheren Übermittlungswegs ist eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich (§ 65a Abs. 3 Satz 1 HS 1). Allerdings schränkt § 4 ERVV (zur ERVV vgl. Rz. 25 ff.) diese Option deutlich ein. Ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument kann hiernach nur auf einem sicheren Übermittlungsweg (Nr. 1) oder an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) (Nr. 2) transferiert werden. Damit ist das EGVP der einzige zulässige Kanal, für den es auf die qualifizierte elektronische Signatur ankommt. Fehlt bei der Dokumenteneinreichung über das EGVP die qualifizierte elektronische Signatur oder ist sie unwirksam, ist die Einreichung unwirksam (Ulrich/Schmieder, NJW 2019 S. 113, 114). Dieser Mangel betrifft die Übermittlung des Dokuments, was von § 65a Abs. 6 Satz 2 nicht erfasst wird (dazu Rz. 71 ff.), denn diese Vorschrift befasst sich mit der Bearbeitung des Dokuments. Eine rückwirkende Heilung scheidet bei einer Wiedereinsetzung aus.
Rz. 45
Eine qualifizierte elektronische Signatur ist eine fortgeschrittene elektronische Signatur, die von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht (Art. 3 Nr. 12 der EU-Verordnung Nr. 910/2014 v. 23.7.2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG – eIDAS-VO). Aus Art. 3 Nr. 11 eIDAS-VO i. V. m. Art. 26 eIDAS-VO folgt, dass eine fortgeschrittene elektronische Signatur wiederum eine elektronische Signatur ist, bei der die Signatur i. S. d. Art. 3 Nr. 10 eIDAS-VO eindeutig dem Unterzeichner zugeordnet ist, dessen Identifizierung ermöglicht, die Signatur unter Verwendung elektronischer Signaturerstellungsdaten i.S.d. Art. 3 Nr. 13 eIDAS-VO erstellt wird, die der Unterzeichner mit einem hohen Maß an Vertrauen unter seiner alleinigen Kontrolle verwenden kann und sie zudem so mit den auf diese Weise unterzeichneten Daten verbunden ist, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann. Anhang I der eIDAS-VO listet die Anforderungen an ein qualifiziertes Zertifikat für elektronische Signaturen und Anhang II diejenigen für qualifizierte elektronische Signaturerstellungseinheiten auf (abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32014R0910).
Rz. 46
Die qualifizierte elektronische Signatur hat die gleichen Rechtswirkungen wie eine handschriftliche Unterschrift (Art. 25 Abs. 2 eIDAS-VO). Sie tritt an die Stelle der Unterschrift, muss folglich durch denjenigen vorgenommen werden, dessen handschriftliche Unterschrift erforderlich wäre. Dies ist die verantwortende Person. Daher: Bei einer elektronisch übermittelten Berufungsbegründung muss die qualifizierte elektronische Signatur grundsätzlich von einem zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt erfolgen. Dieses Formerfordernis ist jedenfalls dann nicht gewahrt, wenn die Signatur von einem Dritten unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts vorgenommen wird, ohne dass dieser den Inhalt des betreffenden Schriftsatzes geprüft und sich zu eigen gemacht hat (BGH, Beschluss v. 21.12.2010, VI ZB 28/10). Die Beschwerde gegen eine Entscheidung des Sozialgerichts, die durch Einreichung über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) erhoben wird, genügt den Anforderungen an die elektronische Form nur, wenn sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist (so LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 24.10.2017, L 6 AS 159/17 B ER). Geht eine nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene Berufung im EGVP eines Gerichts ein, ist der Kläger hierauf hinzuweisen. Ist unter Berücksichtigung des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bei Gericht davon auszugehen, dass ein erteilter Hinweis dem Kläger die Möglichkeit eröffnet hätte, die Berufung formgerecht einzulegen, kommt die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch von Amts wegen in Betracht (LSG Bayern, Urteil v. 11.11.2020, L 11 AS 401/20).
Rz. 47
An welcher Stelle und wie die qualifizierte elektronische Signatur am elektronischen Dokument anzubringen ist, regelt die Bundesregierung in der Bekanntmachung nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 ERVV (dazu Rz. 39). Maßgebend ist derzeit (Stand 23.9.2022) Nr. 5 der 2. ERVB 2022 v. 10.2.2022 (BAnz AT 18.2.2022 B 2). Hiernach sind qualifizierte elektronische Signaturen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 ERVV i. V. m. Nr. 5 der 2. ERVB 2022 bis mindestens 31.12.2022 nach den unter Rz. 39 zitierten Vorgaben anzubringen.
Rz. 48
Die Anforderungen sind bei dem jeweiligen Dateiformat bzw. der Dateiversion gesondert zu bestimmen und unterliegen einer fortwährenden Entwicklung. Die qualifizierte elektronische Signatur kann entweder nach einem näher definierten Standard in die PDF-Datei eingebettet (Inline-Signatur) oder der Datei beigefügt werden (Detached-Signatur). Seit 1.1.2018 nicht mehr...