Rz. 55
Die Vorschrift definiert in Nr. 1 und 2 zwei sichere Übermittlungswege. Hingegen bedürfen die sicheren Übermittlungswege nach Nr. 3 bis 5 einer das Nähere regelnden Rechtsverordnung (§ 86a Abs. 4 Satz 2). Die "sonstigen bundeseinheitlichen Übermittlungswege" legt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates fest (§ 86a Abs. 4 Satz 1 Nr. 6). Die sicheren Übertragungswege kennzeichnet, dass sie nur nach einer Identitätsprüfung nutzbar sind. Der betreffende Postfachinhaber muss deshalb mit seinem Namen identifizierbar sein. Demzufolge sind Übermittlungen einer verantwortenden Person zuzuordnen. Gleichzeitig wird für den elektronischen Postausgang sichergestellt, dass der Transfer mittels eines sicheren Übermittlungswegs nicht den falschen Empfänger erreicht. Wirksam eingereicht ist das Dokument in einem solchen Fall nur dann, wenn es von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg transferiert wird (§ 65a Abs. 3 Satz 1). Beide Voraussetzungen müssen vorliegen. Diese Variante steht gleichrangig neben der Option, ein Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen, für die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV zwar auch der sicherer Übermittlungsweg vorgesehen ist, alternativ aber auch die Nutzung des EGVP in Betracht kommt (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV).
Rz. 55a
Die qualifizierte elektronische Signatur steht der ggf. im jeweiligen Gesetz verlangten Schriftform gleich. Das gilt auch für mit Namensnennung einfach signierten elektronischen Dokumenten, die mittels eines sicheren Übermittlungswegs (§ 65 Abs. 4) transferiert werden.
Nach § 151 Abs. 1 hat die Berufungseinlegung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erfolgen. Wird die Berufung entsprechend § 65a Abs. 1 dem Gericht elektronisch übermittelt, so ist eine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes vorgeschrieben, weil zur Schriftform grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift gehört. Ist die Berufungsschrift nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, so erfüllt sie nicht das Formerfordernis des § 65a Abs. 1. Die elektronische Form ist ein aliud zur Schriftform. Infolgedessen können schriftformwahrende Voraussetzungen nicht analog angewendet werden (so LSG Hessen, Beschluss v. 20.5.2016, L 6 AS 256/15).
Die elektronische Übermittlung einer im Original unterschriebenen, eingescannten und qualifiziert elektronisch signierten Berufungsschrift, ist auch dann formwirksam, wenn der Inhaber der qualifizierten elektronischen Signatur nicht mit dem Urheber des eingescannten Schriftsatzes übereinstimmt. Eine Übereinstimmung ist nur dann notwendig, sofern für den einzureichenden Schriftsatz die Schriftform vorgeschrieben ist und der Schriftsatz rein elektronisch erstellt – also nicht im Original eigenhändig unterschrieben – ist (so LSG Sachsen, Urteil v. 14.9.2015, L 2 U 39/12).
Rz. 56
Auch dieser Kommunikationskanal ersetzt die Identifikationsfunktion der Unterschrift. Das Adjektiv „sicher“ bezieht sich daher nicht auf die IT-Sicherheit oder den Ausfallschutz, sondern darauf, dass aufgrund entsprechender technischer Sicherungsmaßnahmen ein sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders möglich ist. Infolgedessen kann bei Nutzung sicherer Übermittlungswege auf die sonst die eigenhändige Unterschrift im elektronischen Rechtsverkehr ersetzende qualifizierte elektronische Signatur i. S. v. Art. 3 Nr. 12 eIDAS-VO verzichtet werden (vgl. Müller, NZS 2019 S. 207, 209).
Rz. 57
Die Nutzung des sicheren Kommunikationswegs wird bei konventioneller Aktenführung durch den Aktenausdruck gemäß § 298 Abs. 1 ZPO dokumentiert. Es reicht aus, wenn der Übermittlungsweg und das Übermittlungsdatum auf dem Ausdruck vermerkt werden. Alternativ kann bei Übermittlung in Dateiform nicht nur die Datei, sondern auch die elektronische Nachricht, mit der sie an das Gericht übermittelt wurde, für die Akten ausgedruckt werden. Der Nachricht lässt sich entnehmen, welcher sichere Übermittlungsweg genutzt wurde (BT-Drs. 17/12634 S. 25).
Rz. 58
§ 65a Abs. 4 Nr. 1 bis 6 bestimmen abschließend die sicheren Übermittlungswege. Das sind
- der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Abs. 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
- der Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
- der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts, wobei die Verordnung nach Abs. 2 Satz 2 das Nähere regelt,
- sonstig...