Rz. 82

Der Heilungsmechanismus des § 65a Abs. 6 greift nicht, wenn lediglich die Übermittlung des Dokuments betroffen ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.3.2019, L 10 AS 2081/18; Ulrich/Schmieder, NJW 2019 S. 113). Satz 2 bezieht sich nur auf elektronische Dokumente, die die unmittelbar im Gesetz vorgesehenen Formvoraussetzungen erfüllen, also entweder mit qualifizierter Signatur oder auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurden. Fehlt es z. B. an einer qualifizierten elektronischen Signatur oder ist das Dokument nicht von der verantwortenden Person signiert und/oder nicht auf sicherem Übermittlungsweg eingereicht worden (§ 65a Abs. 3 und Abs. 4), kommen die Reparaturmöglichkeiten nach Abs. 6 nicht zum Zuge (Jung, in: BeckOGK, SGG, § 65a Rz. 44; Hopp, in: Eyermann, VwGO, § 55a Rz. 19). Nicht heilbar ist es daher, wenn elektronische Dokumente ohne qualifizierte elektronische Signatur per einfacher E-Mail oder per De-Mail ohne eine sichere Anmeldung des Absenders an das Gericht gesandt worden sind (BT-Drs. 17/12634 S. 26).

 

Rz. 83

Die Eingangsfiktion greift auch dann nicht, wenn das Dokument mit einer unzulässigen Containersignatur (§ 4 Abs. 2 ERVV) versehen ist (dazu oben unter Rz. 49 ff.). Das Dokument ist dann zwar eingegangen, indessen infolge fehlerhafter Übermittlung unwirksam. In einem solchen Fall kann allerdings die prozessuale Fürsorgepflicht verlangen, den Absender unverzüglich auf den Mangel und damit auf die Formvoraussetzungen des elektronischen Rechtsverkehrs hinzuweisen (vgl. aber OLG Hamm, Beschluss v. 28.4.2022, 30 U 32/22, zitiert unter Rz. 74). Naturgemäß endet die Hinweispflicht, wenn ein Beteiligter nicht mehr vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers bewahrt werden kann (vgl. Ulrich/Schmeider, NJW 2019 S. 113). Verstößt das Gericht gegen die prozessuale Fürsorgepflicht, indem es den unverzüglich zu erteilenden Hinweis unterlässt, wird Wiedereinsetzung nach den allgemeinen Regeln (§ 67) erwogen werden müssen (BSG, Beschluss v. 27.6.2019, B 5 RE 10/18 B; Beschluss v. 9.5.2018, B 12 KR 26/18 B). Wiedereinsetzung kann auch dann in Betracht kommen, wenn der Fehler aus der Sphäre des Beteiligten herrührt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.3.2019, L 10 AS 2081/18). Im Gegensatz zur Fiktion des § 65a Abs. 6 Satz 2 kennt die Wiedereinsetzung allerdings keine Rückwirkungsfiktion.

 

Rz. 84

Behebt der Absender den Mangel auch auf den Hinweis des Gerichts nicht oder nicht vollständig, bleibt es bei der Unwirksamkeit (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.3.2019, L 10 AS 2081/18; Ulrich/Schmieder, NJW 2019 S. 113, 114).

 

Rz. 85

Wird bei der Übermittlung des elektronischen Dokuments eine Sollvorschrift (z. B. § 2 Abs. 2 und Abs. 3 ERVV) verletzt, greift der Reparaturmechanismus des § 65a Abs. 5 gleichermaßen nicht (hierzu auch Rz. 40). Ein solcher Mangel bewirkt nicht die Unwirksamkeit des Eingangs. Das Gericht wird die fehlenden Angaben nachfordern, darf das elektronische Dokument allerdings nicht zurückweisen (zutreffend Jung, in: BeckOGK, SGG, § 65a Rz. 45).

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