Rz. 49

Mehrere elektronische Dokumente mit nur einer qualifizierten elektronischen Signatur (Containersignatur) dürfen nicht verwendet werden (§ 4 Abs. 2 ERVV). Nicht zugelassen ist daher die Zusammenfassung von Dokument und Signaturinformation in einer Verbunddatei (Bacher, MDR 2019 S. 1, 6). Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Nachricht mit mehreren Anhängen mit einer Signatur signiert wird, die an den "Nachrichtencontainer" angebracht ist. Sie lässt sich mit einem auf der Rückseite eines Briefumschlags angebrachten Siegel vergleichen, der ein oder mehrere nicht unterschriebene Dokumente enthält (Bacher, NJW 2009 S. 1548). Jedenfalls wenn Prozessakten elektronisch geführt werden, ist zur elektronischen Signaturprüfung einzelner Dokumente eine Containersignatur unbrauchbar (so BT-Drs. 645/17 S. 15).

 

Rz. 50

Die Begründung zur ERVV hält das Verbot der Containersignatur für notwendig, weil andernfalls eine Überprüfung der Authentizität und Integrität der elektronischen Dokumente im weiteren Verfahren regelmäßig nicht mehr möglich sei. Nach der Trennung der einzelnen elektronischen Dokumente könne die Containersignatur nicht mehr überprüft werden. Insbesondere könnten die anderen Verfahrensbeteiligten nicht mehr nachvollziehen, ob die Authentizität und Integrität der elektronischen Dokumente gewährleistet sei (BR-Drs. 645/17 S 15; hierzu auch BSG, Beschluss v. 9.5.2018, B 12 KR 26/18 B).

 

Rz. 51

Das Verbot der Containersignatur bedarf nach der Entscheidung des OLG Brandenburg einer auf sein Regelungsziel bezogenen einschränkenden Auslegung, um nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG zu verstoßen. Die Integrität und Authentizität einer qualifizierten elektronischen Signatur sei auch dann uneingeschränkt sichergestellt, wenn der Absender mit ihr nur elektronische Dokumente verbinde, die sämtlich ein Verfahren beträfen und die nach dem Eingang bei Gericht zusammen mit den bei der Übermittlung angefallenen Informationen und mit dem Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt und zu den Gerichtsakten genommen würden (Beschluss v. 6.3.2018, 13 WF 45/18; so auch LAG Düsseldorf, Urteil v. 7.8.2018, 3 Sa 213/18; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 10.10.2018, L 2 R 117/18; ablehnend zur Entscheidung des OLG äußern sich Mardorf, jM 2018 S. 228; Müller, NJW 2018 S. 1485; Plum, NJW 2018 S. 2224; krit. auch Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 55a Rz. 13). Wird daher ein bestimmender Schriftsatz auf elektronischem Weg über das EGVP nach dem 1.1.2018 bei den Gerichten eingereicht und enthält dieser eine sog. Containersignatur, so ist die Prozesshandlung grundsätzlich unwirksam (so LAG Hessen, Urteil v. 14.2.2020, 10 Sa 1031/19 SK).

 

Rz. 52

Das BSG hat sich hierzu zunächst kritisch zurückhaltend geäußert. Die Beurteilung des OLG Brandenburg könne schon deshalb zweifelhaft sein, weil sie Absender elektronischer Dokumente in Abhängigkeit davon ungleich behandele, ob das empfangende Gericht elektronische oder (auch) Papierakten führe und der Absender nur dann in die Lage versetzt werde, formunwirksame Eingänge zu vermeiden, wenn er Kenntnis von der Art der gerichtlichen Aktenführung habe (BSG, Beschluss v. 9.5.2018, B 12 KR 26/18 B). Das BSG brauchte die Rechtsfrage nicht abschließend zu entscheiden, weil dem Kläger wegen unverschuldeter Fristversäumung jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

 

Rz. 53

Nachfolgend hat sich das BSG weiter mit der Thematik befasst. Im Beschluss v. 20.3.2019 (B 1 KR 7/18 B) führt es aus, § 4 Abs. 2 ERVV verstoße nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Die Norm diene der Rechtsklarheit und -sicherheit. Das Verbot, dem Gericht für eine Beschwerde mehrere elektronische Dokumente mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur zu übermitteln, gelte uneingeschränkt (zustimmend Keller, jurisPR-SozR 14/2019 Anm. 4; vgl. auch Müller, NZS 2019 S. 600). Das entspricht der Auffassung von BAG (Beschluss v. 15.8.2018, 2 AZN 269/18) und BVerwG (Beschluss v. 7.9.2018, 2 WDB 3/18). Die vom OLG Brandenburg aufgeworfenen Rechtsfragen dürften damit abschließend geklärt sein (zum Verbot der Containersignatur: BSG, Beschluss v. 27.6.2019, B 5 RE 10/18 B; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.3.2019, L 10 AS 2081/18). Die Entscheidung des BGH v. 24.5.2022 (X ZR 82/21) steht dem nicht entgegen. Der BGH legt dar, dass § 4 Abs. 2 ERVV im Patentnichtigkeitsverfahren nicht anwendbar ist. Dem ist hier nicht nachzugehen. Im Ergebnis verbleibt es dabei: "Finger weg von der Containersignatur" (so Mardorf, jM 2018 S. 228, 230; so im Ergebnis auch Bacher, MDR 2019 S. 1, 6). Ein dennoch so signiertes und eingereichtes Dokument ist unwirksam. Das Gericht ist gehalten, hierauf unverzüglich hinzuweisen. Ggf. kommt eine Wiedereinsetzung in Betracht (BSG, Beschluss v. 27.6.2019, B 5 RE 10/18 B).

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