Rz. 72
Die Vorschrift knüpft an § 65a Abs. 2 Satz 1 an. Danach muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die für die Übermittlung und Bearbeitung maßgebenden rechtlichen Rahmenbedingungen legt die Bundesregierung fest (§ 65a Abs. 2 Satz 2). Das ist mit der ERVV geschehen (vgl. hierzu Rz. 24 ff.). Die ERVV gilt für die Übermittlung und Bearbeitung elektronischer Dokumente hinsichtlich der dort genannten Gerichtsbarkeiten (vgl. auch Rz. 26). § 65a Abs. 6 Satz 1 bezieht sich nur auf die Bearbeitung und befasst sich nicht damit, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Übermittlung nicht den Anforderungen der ERVV genügt. Rechtserheblich ist allein die Nichteignung für die Bearbeitung (zutreffend BSG, Beschluss v. 9.5.2018, B 12 KR 26/18 B; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.3.2019, L 10 AS 2081/18; Ulrich/Schmieder, NJW 2019 S. 113).
Rz. 73
Die Eignung/Nichteignung ist bezogen auf das Gericht zu prüfen. Das Wort "Gericht" ist insofern zu konkretisieren, als dieser Einheit auch Verwaltungsabteilungen zugeordnet sind. Aus dem Sinnzusammenhang der Vorschrift ist herzuleiten, dass "Gericht" nur die Rechtsprechung i. S. d. Art. 92 ff. GG meint (hierzu auch Rz. 19). Das schließt nicht aus, dass die Verwaltungsabteilung des Gerichts oder Mitarbeiter der Geschäftsstelle die Eignung prüfen und das Prüfergebnis dem zuständigen Richter vorlegen. Die Entscheidung über die Nichteignung ist aber immer ein Akt richterlicher Erkenntnis des nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Kammervorsitzenden oder Vorsitzenden bzw. Berichterstatters des Senats.
Rz. 74
Nicht geeignet ist ein elektronisches Dokument namentlich dann, wenn es den die Bearbeitung betreffenden Anforderungen der ERVV, soweit diese zwingend sind, nicht genügt. Die Vorschrift ist nicht abschließend. Auch andere Mängel können die Nichteignung begründen, z. B. wenn das Dokument mit einer Schadsoftware infiziert oder durch ein Kennwort lesegeschützt ist (BR-Drs. 645/17 S. 11). Nicht geeignet soll ein elektronisches Dokument nach BAG auch dann sein, wenn es gegen die Vorgaben des § 65a Abs. 3 verstößt. Hierzu gilt, dass seit 1.1.2018 eine Nichtzulassungsbeschwerde über das EGVP des BAG nur dann eingereicht werden kann, wenn die als elektronisches Dokument übermittelte Beschwerdeschrift mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Die gesetzliche Form ist nicht gewahrt, wenn diese Signatur nur an dem an das EGVP übermittelten Nachrichtencontainer (zur Containersignatur vgl. auch Rz. 49 ff.) angebracht ist (BAG, Beschluss v. 15.8.2018, AZN 269/18). Das erweist sich als rechtlich problematisch, denn dieser Mangel bezieht sich jedenfalls auch auf die Übermittlung des Dokuments (hierzu § 4 Abs. 1 Nr. 1 ERRV). Die besondere Hinweispflicht des § 65a Abs. 6 Satz 1 wird indessen nur dann ausgelöst, wenn das Dokument für die Bearbeitung nicht geeignet ist. Insoweit folgerichtig judiziert das OLG Hamm (Beschluss v. 28.4.2022, 30 U 32/22), das Vorbringen des Klägers, das Gericht habe vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist auf das Fehlen der einfachen Signatur hinweisen müssen, habe keinen Erfolg. Das Gericht begründet dies damit, dass aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren eine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu folge, die Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken. Dies nähme den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten ihre eigene Verantwortung dafür, die Formalien einzuhalten. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sei, könne sich nicht nur am Interesse der Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern habe auch zu berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden müsse.
Rz. 75
Sofern das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht nicht geeignet ist, greift die in Abs. 1 Satz 1 HS 2 bestimmte Rechtsfolge. Gleichsam nur "en passant" hat der Gesetzgeber den entscheidenden Punkt formuliert. Das Gericht hat den Absender auf Zweierlei hinzuweisen, nämlich
- auf die Unwirksamkeit des Eingangs und
- die geltenden technischen Rahmenbedingungen.
Hieraus folgt, dass ein nicht zur Bearbeitung geeignetes elektronisches Dokument zwar (faktisch) eingegangen ist, es indessen keinerlei Rechtswirkungen zu entfalten vermag. Es ist unwirksam (hierzu auch Rz. 68).
Rz. 76
Das Gericht hat den Absender auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen hinzuweisen. Die Gesetzbegründung führt hierzu aus (BT-Drs. 17/12634 S. 26): "Die in Satz 1 genannten technischen Rahmenbedingungen können im Hinblick auf die Dateiformate aus der Verordnung des Bundes mit Zustimmung des Bundesrat...