Rz. 17

Verzögerungen der Briefzustellung werden regelmäßig nicht als Verschulden zugerechnet (BVerfG, Beschluss v. 4.5.1977, 2 BvR 616/75, BVerfGE 44 S. 302; BVerfG, Beschluss v. 16.12.1975, 2 BvR 854/75, NJW 1976 S. 513). Wenn ein Beteiligter ein Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post gibt, dass er nach dem regelmäßigen Betriebsablauf davon ausgehen kann, das Schriftstück werde fristgerecht zugehen, darf er sich hierauf verlassen (vgl. BVerfG, Urteil v. 1.12.1982, 1 BvR 607/82, NJW 1983 S. 1479; BVerfG, Beschluss v. 4.12.1979, 2 BvR 376/77, BVerfGE 53 S. 25, 28 f.). Der Absender braucht in einem solchen Fall auch nicht nachzufragen, ob seine Sendung eingegangen ist (BVerfG, Urteil v. 1.12.1982, 1 BvR 607/82, NJW 1983 S. 1479). In Zweifelsfällen holt das Gericht eine Auskunft des Briefzustellers zur üblichen Dauer der Briefbeförderung ein (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.9.2000, 1 BvR 2104/99, SozR 3-1100 Art. 103 Nr. 8). Hieraus folgt: Bei einer durchschnittlichen Postlaufzeit von 4 bis 5 Tagen im Verhältnis zu Serbien ist einem Kläger Wiedereinsetzung in die um einen Tag abgelaufene Berufungsfrist von Amts wegen zu gewähren, dessen Berufungsschriftsatz 11 Tage nach Aufgabe zur Post beim Sozialgericht eingeht (LSG Bayern, Urteil v. 29.10.2010, L 13 R 799/09). Ein Postlauf von 17 Tagen von Serbien nach Deutschland ist als ungewöhnlich lang anzusehen, so dass die eingetretene Fristversäumnis als vom Kläger nicht verschuldet zu bewerten ist (LSG Bayern, Urteil v. 24.2.2010, L 1 R 1/09). Beträgt die Postlaufzeit bei Landwegsendungen von Kroatien nach Deutschland in der Regel zwischen 10 und 14 Tagen, so kann der Kläger nicht darauf vertrauen, dass ein an einem Freitag in Kroatien zur Post gegebener und nicht als Vorrangsendung gekennzeichneter Berufungsschriftsatz bis zum darauffolgenden Montag beim zuständigen LSG oder SG fristgerecht eingeht (LSG Bayern, Beschluss v. 8.1.2010, L 14 R 677/09).

 

Rz. 18

An einem Verschulden fehlt es u. a. dann, wenn ein Schriftstück entsprechend den Bestimmungen der Deutschen Post AG so rechtzeitig auf die Post gegeben wird, dass dieses nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht hätte (vgl. von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 27 Rn. 8 m. w. N.). Die Zielvorgabe des § 2 Nr. 3 Satz 1 Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) v. 15.12.1999 (BGBl. I S. 2418) liefert allerdings keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass stets mit einer Auslieferung am Tag nach der Einlieferung zu rechnen ist (vgl. aber BGH, Beschluss v. 17.5.2004, II ZB 22/03, BB 2004 S. 1594). Überwiegend wird vor dem Hintergrund der in § 2 Nr. 3 PUDLV vorgegebenen Qualitätsmerkmale für mindestens 80 % der inländischen Briefbeförderungen im Jahresdurchschnitt eine bestimmungsgemäße Auslieferung für die an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen am auf den Einlieferungstag folgenden Werktag angenommen (vgl. BGH, Beschluss v. 20.5.2009, IV ZB 2/08, NJW 2009 S. 2379 m. w. N.; Keller, SGG, § 67 Rn. 6a). Für ein Übergabeeinschreiben kann nichts anderes gelten, denn § 2 PUDLV regelt die Qualitätsmerkmale "der Briefbeförderung"; die Briefbeförderung erfasst nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 PUDLV auch die Sendungsform Einschreibsendung (Briefversendung, die pauschal gegen Verlust, Entwendung oder Beschädigung versichert ist und gegen Empfangsbestätigung ausgeliefert wird). Trotz dieser Daten und Zielvorgaben kann im Einzelfall eine unverschuldet versäumte Frist zur Klageerhebung nicht ausgeschlossen werden (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 21.12.2010, L 8 SO 16/10).

 

Rz. 19

Maßgeblich ist stets nur der regelmäßige Betriebsablauf. Verzögerungen etwa wegen besonderer Feiertagsbelastung der Post bleiben unberücksichtigt (BVerfG, Beschluss v. 16.12.1975, 2 BvR 854/75, NJW 1976 S. 513; BVerfG, Beschluss v. 15.4.1980, 2 BvR 461/79, BVerfGE 54 S. 80, 84). Das gilt allerdings grundsätzlich nur für ausreichend frankierte und richtig adressierte Briefsendungen (Zeihe, SGG, § 67 Rn. 3h; vgl. auch BGH, Urteil v. 15.10.1999, V ZR 50/99, NJW 2000 S. 82: Keine Wiedereinsetzung bei unvollständiger Anschrift auf der Rechtsmittelschrift). Bei einer unrichtigen oder unvollständigen Adressierung ist dem Beteiligten jedoch nur die tatsächlich hierdurch entstandene Verzögerung zuzurechnen. Eine unvollständige Adressierung ist daher unschädlich, wenn dadurch nach den betrieblichen Vorkehrungen im Normalfall keine Verzögerung eintritt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.9.2000, 1 BvR 2104/99, SozR 3-1100 Art. 103 Nr. 8 für den Fall einer ohne Hausnummer und Postleitzahl adressierten Berufungsschrift). Im Fall geringfügiger Abweichungen in der Adressierung ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Das BSG sieht einen Zahlendreher bei der Postleitzahl als entschuldbar an (BSG, Urteil v. 5.2.2003, B 6 KA 27/02 R, SozR 4-2500 § 95 Nr. 3). Fehlt es in der Rechtsbehelfsbelehrung an einer Angabe der Straße und/oder Hausnummer, kann dem Beteil...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge