Rz. 31
Auch juristisch nicht geschulte Personen müssen die Rechtsmittelbelehrung beachten und sich notfalls erkundigen. Für die Vorwerfbarkeit der Fristversäumnis kommt es auch auf den Bildungsgrad des Betroffenen an. Bei einem Rechtsirrtum trifft den Beteiligten nur ganz ausnahmsweise dann kein Verschulden, wenn er den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte (BVerfG, Beschluss v. 10.6.1975, 2 BvR 1074/74, BVerfGE 40 S. 95). Beachtet der Beteiligte die Rechtsmittelbelehrung nicht, wird Verschulden angenommen. Dies gilt auch bei sprachunkundigen Ausländern (LSG NRW, Beschluss v. 7.10.2010, L 6 AS 27/09). Die unrichtige Auskunft eines Prozessbevollmächtigten über Form und Frist eines Rechtsmittels entschuldigt i. d. R. nicht, wohl aber eine falsche Auskunft einer Behörde oder eines Gerichts (vgl. BSG, Urteil v. 22.10.1986, 9a RV 43/85, MDR 1987 S. 436).
2.1.3.4.1 Krankheit
Rz. 32
Krankheit entschuldigt nur dann, wenn die Willens- und Handlungsfähigkeit eines Beteiligten derart beeinträchtigt ist, dass er auch die Einlegung eines Rechtsbehelfs durch einen Dritten nicht veranlassen konnte (vgl. auch BVerfG, NJW-RR 2007 S. 1717; LSG Hamburg, Urteil v. 11.5.2010, L 3 R 88/09 KN). Bettlägerigkeit steht einem Verschulden nicht entgegen; es kommt auf die Umstände an (BSG, Beschluss v. 26.3.1992, 11 BAr 117/91, SozR 3-1500 § 67 Nr. 3; LSG Bayern, Beschluss v. 14.1.2010, L 8 AS 235/09). Wiedereinsetzung ist nicht zu gewähren, wenn sich der Beschwerdeführer nach Zustellung eines Beschlusses einer stationären Behandlung unterziehen musste (LSG Bayern, Beschluss v. 25.2.2010, L 2 U 342/09 B). Ist eine Betreuung angeordnet und umfasst der Aufgabenkreis des Betreuers die Abgabe fristgebundener Erklärungen, kommt eine Wiedereinsetzung nur in Betracht, wenn sowohl der (handlungsfähige) Betreute als auch der Betreuer ohne Verschulden verhindert waren, die Frist einzuhalten (BSG, Urteil v. 14.5.2002, B 12 KR 14/01 R, SozR 3-2500 § 9 Nr. 4).
2.1.3.4.2 Strafhaft
Rz. 33
Strafhaft ist kein Entschuldigungsgrund für ein Fristversäumnis (LSG NRW, Beschluss v. 10.12.2010, L 12 SO 559/10 B).
2.1.3.4.3 Arbeitsüberlastung
Rz. 34
Arbeitsüberlastung ist nicht geeignet, Fristversäumnisse zu entschuldigen. Eine bestehende Arbeitsüberlastung muss der Berechtigte bei seinen Vorkehrungen zur Fristeinhaltung in seine Überlegungen einbeziehen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 15.11.2010, L 2 SF 218/10).
2.1.3.4.4 Sonstiges
Rz. 35
Es gehört zu der von einem gewissenhaften Prozessführenden zu fordernden Sorgfalt, dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Versäumung von Rechtsmittelfristen wegen Umzug zu vermeiden (LSG Bayern, Beschluss v. 13.4.2010, L 19 R 46/10 NZB). Der bloße Hinweis auf fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit und mangelnde rechtliche Kenntnisse stellt keinen Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar (LSG Bayern, Urteil v. 25.2.2010, L 9 AL 295/09). Entschuldbar kann je nach den Umständen auch ein unbewusstes Fehlverhalten sein, das jedem unterlaufen kann (etwa Vergreifen, Verschreiben oder Liegenlassen). In diesen Fällen kann dem Beteiligten jedenfalls nicht vorgehalten werden, er habe es an der gehörigen Aufmerksamkeit gegenüber rechtlichen Belehrungen fehlen lassen (vgl. BSG, Urteil v. 25.4.1978, 9 RV 71/77, SozR 1500 § 67 Nr. 12).