Rz. 63
Die Aufhebung von Bewilligungsentscheidungen, die auf bei Gericht ab dem 1.1.2014 eingegangenen Prozesskostenhilfeanträgen beruhen, richtet sich nach § 124 ZPO n. F. Die Vorschriften des § 124 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO haben Sanktionscharakter (BGH, Beschluss v. 9.10.2018, VIII ZB 44/18). Das Gericht hat i. d. R. die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 ZPO rückwirkend aufzuheben, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vorliegen. Es handelt sich um eine Soll-Vorschrift (vgl. hierzu LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 8.6.2018, L 1 R 21/16 B).
Der Katalog der Aufhebungsgründe ist erweitert worden. Es handelt sich um eine abschließende Aufzählung. Andere Gründe als die des § 124 erlauben die Aufhebung nicht. Nach § 124 Abs. 1 ZPO soll die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben werden, wenn
- der Beteiligte durch eine unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat (Nr. 1),
- der Beteiligte absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit eine Erklärung nach § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht oder ungenügend abgegeben hat (Nr. 2),
- die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe nicht vorgelegen haben, wobei die Aufhebung ausgeschlossen ist, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens 4 Jahre vergangen sind (Nr. 3),
- der Beteiligte entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis 3 ZPO dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat (Nr. 4)
- oder der Beteiligte länger als 3 Monate mit der Zahlung einer Monatsrate oder mit der Zahlung eines sonstigen Betrages im Rückstand ist (Nr. 5).
Nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO führt nicht nur das Unterlassen einer Änderungsmitteilung nach § 120a Abs. 2 ZPO, sondern auch eine zwar erstattete, aber inhaltlich unrichtige Änderungsmitteilung zu einer rückwirkenden Aufhebung. Subjektiv ist eine absichtliche oder grob nachlässige Pflichtverletzungen erforderlich, einfache Fahrlässigkeit genügt nicht. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit und liegt vor, wenn ein Antragsteller die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsse (OLG Stuttgart, Beschluss v. 8.1.2019, 8 WF 273/18 zur Bedeutung der vom Antragsteller unterschriebenen Belehrungen am Ende des Verfahrenskostenhilfe-Formulars). Dies gilt auch für die Tatbestände des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO (BAG, Beschlüsse v. 26.1.2017, 9 AZB 46/16, v. 19.10.2016, 8 AZB 23/16, und v. 18.8.2016, 8 AZB 16/16). Die Aufhebung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setzt kein Verschulden des Antragstellers voraus (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 23.11.2017, L 15 AS 322/16).
Die Wirkungen des § 122 ZPO (Rz. 8) entfallen bei einer Aufhebung nach § 124 Nr. 1 bis 3 ZPO rückwirkend; bei einer Aufhebung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 und 5 ZPO bleibt der Anspruch des beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse auf bereits entstandene Vergütung bestehen. Die Staatskasse kann die auf sie übergegangenen Vergütungsansprüche gegenüber dem Beteiligten geltend machen.
Rz. 64
Für die Entscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 1, § 124 Abs. 2 ZPO ist der Richter zuständig. Abweichend von der bisherigen Rechtslage ist bei den Fällen des § 124 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 ZPO nicht mehr der Richter, sondern der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle für die Entscheidung über die rückwirkende Aufhebung nach § 124 ZPO zuständig (§ 73a Abs. 5). Der Vorsitzende bzw. der Berichterstatter kann jederzeit nach pflichtgemäßen Ermessen die Aufgaben nach § 120a ZPO an sich ziehen (§ 73a Abs. 6, 7). Die Länder erhalten die Möglichkeit, die Neuregelung der Zuständigkeiten in § 73a Abs. 5 in ihrem Zuständigkeitsbereich nicht anzuwenden (§ 73a Abs. 9).
Gegen die Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts ist die Beschwerde zulässig (vgl. Rz. 62; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 8.6.2018, L 1 R 21/16 B; LSG Bayern, Beschluss v. 19.8.2015, L 11 AS 533/15 B PKH). Eine Nachholung der Erklärung nach § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO ist noch im Beschwerdeverfahren zulässig, es handelt sich nicht um eine Ausschlussfrist (BGH, Beschluss v. 9.10.2018, VIII ZB 44/18).
Gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist die Erinnerung an das Prozessgericht (§ 127 Abs. 1 Satz 1 ZPO) gegeben (§ 73 Abs. 8). Die Rechtsmittelfrist beträgt einen Monat. Gegen die Erinnerungsentscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts ist die Beschwerde zulässig (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 31.3.2016, L 4 AS 52/16 B; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 13.2.2018, OVG 11 M 27.17; a. A. bei einer Entscheidung nach § 73 Abs. 8 LSG Bayern, Beschlüsse v. 28.3.2018, L 11 AS 273/18 B, und v. 29.8.2016, L 2 U 250/16 B PKH; LSG Baden-Wür...