1 Allgemeines
Rz. 1
§ 86 enthält eine Parallelvorschrift zu § 96 für das Vorverfahren. Beide Regelungen dienen dazu, unnötige Verzögerungen und weitere Verfahren zu vermeiden. Dass § 86 nur die Abänderung, nicht wie § 96 auch die Ersetzung nennt, begründet keinen sachlichen Unterschied (Zeihe, § 86 Rn. 3a). Es werden neue Verwaltungsakte, die den angefochtenen Verwaltungsakt ändern, Gegenstand des Vorverfahrens.
2 Abändernde Bescheide während des Vorverfahrens
Rz. 2
Voraussetzung ist nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass in der Zeit von Einlegung des Widerspruchs bis zur Beendigung des Vorverfahrens durch den Erlass eines Widerspruchsbescheides ein neuer Verwaltungsakt gegen denselben Beteiligten ergeht. Erfasst werden darüber hinaus aber auch Bescheide, die zwar nach Erlass des Widerspruchsbescheides, aber vor Erhebung der Klage ergehen (BSG, SozR 3-4100 § 157 Nr. 1; kritisch Zeihe, § 86 Rn. 2a, der in diesen Fällen § 96 für anwendbar hält). Der Folgebescheid muss von derselben Behörde wie der Ausgangsbescheid zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses ergangen sein, sich also in seinen Wirkungen mit dem angefochtenen Verwaltungsakt überschneiden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 86 Rn. 3). Der neue Verwaltungsakt muss den angefochtenen Verwaltungsakt ändern oder ersetzen (BSG, SozR 4-1500 § 86 Nr. 2 Rn. 10). Änderung bedeutet, dass der Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch eine Neuregelung ersetzt wird. Der Verwaltungsakt wird ersetzt, wenn an seine Stelle ein neuer Verwaltungsakt tritt (vgl. BSG, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 Rn. 30 für den Fall der wiederholten Ablehnung). Nicht von § 86 erfasst werden Abhilfebescheide, die die Beschwer des Widerspruchsführers in vollem Umfang beseitigen (vgl. BSG, SozR 1500 § 96 Nr. 12).
Rz. 3
Das BSG hat §§ 86, 96 entsprechend angewendet, wenn der neue Verwaltungsakt mit dem Streitstoff in Zusammenhang steht, so dass im Kern über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist und der Grundgedanke des § 96 eine Einbeziehung rechtfertigt (vgl. BSG, SozR 3-1500 § 96 Nr. 3; BSGE 47 S. 170). Erfasst werden danach auch Verwaltungsakte, die sich zwar nicht auf den Streitgegenstand im engeren Sinne beziehen, aber im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ergehen und beispielsweise einen Leistungsanspruch für einen weiteren Zeitraum, der sich an den streitigen anschließt, regeln (BSGE 34 S. 255; BSG, SozR § 96 Nr. 14). Angesichts der Einschränkung, die § 96 durch das SGGArbGGÄndG erfahren hat ("nur dann"), wird auch eine entsprechende Anwendung von § 86 nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Grundsätzlich nicht gerechtfertigt ist wegen der Besonderheiten der Leistungsgewährung – häufige Änderung der Tat- und Rechtsfragen, Bewilligung für mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft – die entsprechende Anwendung auf Folgebescheide im Rahmen des SGB II (vgl. BSG, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 Rn. 30 zu § 96). § 86 ist ebenfalls generell nicht entsprechend anzuwenden auf verschiedene Quartale betreffende Honorarbescheide im Vertragsarztrecht (vgl. BSG, SozR 4-1500 § 86 Nr. 2 Rn. 13 m. w. N.).
3 Folgen der Einbeziehung
Rz. 4
Gegenstand des Widerspruchsverfahrens ist nach der Einbeziehung des Folgebescheids der Verwaltungsakt in der Fassung, die er durch den Folgebescheid erhalten hat. Die erlassende Behörde hat den Erlass des Folgebescheides unverzüglich der zuständigen Widerspruchsstelle mitzuteilen. Der Verwaltungsakt wird automatisch Gegenstand des Vorverfahrens, eines erneuten Widerspruchs bedarf es nicht (BSG, SozR § 96 Nr. 16). Darauf muss in der Rechtsbehelfsbelehrung des Folgebescheides hingewiesen werden. Wird in der Rechtsmittelbelehrung des nach § 86 einbezogenen Bescheides fehlerhaft auf die Möglichkeit der Widerspruchserhebung verwiesen, macht dies einen Widerspruch nicht zulässig. Wird dennoch Widerspruch erhoben, so ist hinsichtlich der Kosten für dieses Verfahren zu differenzieren. Entscheidet die Behörde mit Widerspruchsbescheid über den Ausgangsverwaltungsakt in der Fassung des Änderungsbescheides und wird hiergegen Klage erhoben, so ist im Rahmen dieses Klageverfahrens nach § 193 auch über die Kosten des unzulässigerweise eingeleiteten zweiten Widerspruchsverfahrens zu entscheiden. Eine gesonderte Kostenentscheidung nach § 63 SGB X kommt nicht in Betracht. Die Behörde muss einen entsprechenden Antrag zwar bescheiden, aber als unzulässig ablehnen (so BSG, Urteil v. 18.12.2001, B 12 KR 42/00 R, AGS 2002, 151; BSG, Urteil v. 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, SozR 4-1500 § 193 Nr. 6). Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 193 SGG ist die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung unter Veranlassungsgesichtspunkten zu berücksichtigen. Kommt es nicht zum Klageverfahren, ist hingegen – nach Erledigung des unzulässigen Widerspruchsverfahrens - Raum für eine isolierte Kostenentscheidung nach § 63 SGB X. Der 4. Senat des BSG sieht hierbei augenscheinlich den Widerspruch, der auf die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung erfolgt, als erfolgreich i. S. d. § 63 SGB X an (Beschluss v. 27.9.2011, B 4 AS 137/11 B, juris). Dies ist bedenklich, weil es eigentlich um eine Frage des Veranl...