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Fraglich ist insoweit, ob die Aufrechnung als Vollstreckungssurrogat ebenfalls vom Suspensiveffekt erfasst wird. Die Rechtsfrage ist umstritten. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung geht überwiegend davon aus, dass die Aufrechnung mit einer Gegenforderung keine Vollziehung eines die betreffende Forderung konkretisierenden Leistungsbescheides (Rückforderungsbescheides) darstellt (BVerwG, Beschluss v. 11.8.2005, 2 B 2/05; Urteil v. 27.10.1982, 3 C 6/82, BVerwGE 66 S. 218; Urteil v. 27.1.1994, 2 C 19/92, BVerwGE 95 S. 94; OVG Sachsen, Beschluss v. 14.10.2008, 1 E 52/08; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 21.10.2005, 4 S 740/05; Beschluss v. 9.3.1992, 2 S 3215/91, NJW 1997 S. 3392, hierzu Gotzen/Gotzen, VR 1998 S. 306; OVG Saarland, Beschluss v. 24.2.1989, 1 W 36/89; OVG Bremen, Beschluss v. 16.6.1999, 2 B 93/99, NVwZ-RR 2000 S. 524; VGH Bayern, Beschluss v. 17.12.2003, 3 CS 03.2384; Beschluss v. 13.1.1997,12 CE 96.504; a. A. OVG Lüneburg, Beschluss v. 9.11.2006, 10 ME 189/06, NVwZ-RR 2007 S. 293; Beschluss v. 24.6.1996, 10 M 944/96, NVwZ-RR 1997 S. 655; OVG Brandenburg, Beschluss v. 23.3.2005, 4 B 29/04; VGH Hessen, Beschluss v. 14.3.1975, VII TH 91/74, DÖV 1975 S. 865).
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Demgegenüber wird in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Aufrechnung eines Finanzamtes mit einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis sich als Vollziehung des zugrundeliegenden Bescheides darstellt (BFH, Urteil v. 11.3.2004, VII R 19/02, BFHE 205 S. 335; Urteil v. 31.8.1995, VII R 58/94, BFHE 178 S. 306, Urteil v. 14.11.2000, VII R 85/99, BFHE 193 S. 254; FG Düsseldorf, Urteil v. 16.3.1998, 14 V 9110/97, EFG 1998 S. 965; FG Hamburg, Beschluss v. 15.7.1999, IV 56/99). Der BFH grenzt insoweit ausdrücklich von der Rechtsprechung des BVerwG in E 66 S. 218 ab. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung hat sich dem das LSG Berlin (Beschluss v. 30.3.1998, L 7 Ka-SE 12/98) und das LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss v. 29.6.1988, L 11 S [Ka] 10/98; vgl. auch Zeihe, SGb 1988 S. 225) angeschlossen (offengelassen von BSG, Urteil v. 11.3.2009, B 6 KA 15/08 R, SozR 4-2500 § 96 Nr 1; LSG Hamburg, Beschluss v. 8.2.2008, L 5 B 542/07 ER AS, NZS 2009 S. 111). Dem wird beigetreten. Die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides bewirkt ebenso wie der Suspensiveffekt (§ 86a Abs. 1 SGG) die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid eingelegten Rechtsbehelfs. Die Bedeutung der aufschiebenden Wirkung ist streitig. Teilweise wird sie als Wirksamkeitshemmung, teilweise als Vollziehbarkeitshemmung verstanden (hierzu Frehse, in: Schnapp/Wigge, § 21 Rn. 112 m. w. N.; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 86a Rn. 8). Sowohl im Falle einer Vollziehbarkeitshemmung als auch – erst Recht – im Falle einer Wirksamkeitshemmung darf der Verwaltungsakt nicht vollzogen werden (LSG NRW, Beschluss v. 17.3.2009, L 11 B 25/09 KA ER, MedR 2011 S. 465; Beschluss v. 16.4.2003, L 10 B 21/02 KA ER, MedR 2004 S. 233; Keller, SGG, § 86a Rn. 5 m. w. N.). Das BVerwG hat sich auf den Standpunkt gestellt, die aufschiebende Wirkung beseitige nicht die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes, sie habe vielmehr nur zur Folge, dass der angefochtene Verwaltungsakt vorläufig nicht vollzogen werden dürfe und ist damit von einer Vollziehbarkeitshemmung ausgegangen.
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Vollziehbarkeitshemmung bedeutet, dass der Behörde nunmehr jegliches Gebrauchmachen von den Wirkungen des Verwaltungsaktes einstweilen untersagt ist. Dann aber ist auch die Aufrechnung als Vollziehung anzusehen. Denn eine Aufrechnung ist ohne Gebrauchmachen von dem materiellen Regelungsinhalt des Verwaltungsaktes nicht möglich, weil erst der materielle Regelungsgehalt die entsprechend § 387 BGB notwendigen Voraussetzungen für eine Aufrechnung – u. a. Fälligkeit der Forderung – schafft bzw. herbeiführt (zutreffend BFH, Urteil v. 31.8.1995, VII R 58/94, BFHE 178 S. 306). Daher ist die Aufrechnung mit einer Forderung, die in dem angefochtenen Verwaltungsakt ihren Grund hat, ausgeschlossen (so auch Keller, SGG, § 86a Rn. 5; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 86a Rn. 7).