Rz. 5
Abs. 1 Nr. 2 betrifft den umgekehrten Fall, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage aufgrund § 86a Abs. 2 oder aufgrund spezialgesetzlicher Vorschriften keine aufschiebende Wirkung haben. Zwar ist in § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lediglich die Rede von der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, doch wird wegen der gleichen Zielrichtung auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von dieser Norm erfasst (LSG NRW, Beschluss v. 19.1.2011, L 11 KA 106/10 B ER; Beschluss v. 20.5.2009, L 11 B 5/09 KA ER; Beschluss v. 25.10.2006, L 10 B 15/06 KA ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 3.8.2006, L 4 B 269/06 KA ER, NZS 2007 S. 108).
Rz. 6
Fraglich ist, ob der Adressat eines Verwaltungsaktes oder der Drittbetroffene statt eines Aussetzungsantrags nach § 86a Abs. 3 oder Abs. 4 Satz 2 unmittelbar gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 den Antrag sogleich beim SG stellen kann. Dies wird teils mit dem Bemerken bejaht, § 80 Abs. 6 VwGO bestimme, dass ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO an das Verwaltungsgericht auf Aussetzung der Vollziehung bzw. auf Anordnung der Vollziehbarkeit erst zulässig sei, wenn zuvor ein behördlicher Aussetzungsantrag gemäß § 80 Abs 4 VwGO gestellt und zumindest teilweise abgelehnt worden sei. Eine vergleichbare Situation bestehe weder generell im sozialgerichtlichen Verfahren noch speziell in Zulassungssachen. Eine § 80 Abs. 6 VwGO entsprechende Regelung enthalte das SGG nicht. Der Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG setze daher nicht voraus, dass sich der Antragsteller zunächst an die Verwaltung wenden müsse, um eine Entscheidung der zuständigen Behörde über die Anordnung der Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu erhalten (so BSG, Urteil v. 17.10.2007, B 6 KA 4/07 R, SozR 4-1935 § 17 Nr. 1; vgl. auch Vorauflage zu Rz. 19; Keller, SGG, § 86b Rn 7a; Krodel, Eilverfahren, B Rn. 158). Das überzeugt nicht. Zwar ist die Zulässigkeit der Antragstellung nicht an ein irgendwie geartetes Vorverfahren geknüpft. Unberücksichtigt bleibt indes, dass § 80 Abs. 6 VwGO das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis lediglich normativ konkretisiert. Hieraus lässt sich nicht schlussfolgern, dass für das SGG Abweichendes gilt. Das Rechtsschutzbedürfnis ist Grundvoraussetzung dafür, dass ein Gericht sich in der Sache mit dem angetragenen Rechtsstreit befasst, denn jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (vgl. Keller, SGG, vor § 51 Rn. 16 ff.; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 9.3.2011, L 2 AS 87/11 ER, L 2 AS 484/10), mithin ist ein Antrag nach § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG vorrangig (LSG NRW, Beschluss v. 10.11.2010, L 11 KA 87/10 B ER; vgl. auch Krodel, NZS 2001 S. 449, 458). Demzufolge ist das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, wenn der Beteiligte sein Begehren erkennbar auch außergerichtlich durchsetzen kann oder der Versuch, eine Aussetzung durch die Behörde zu erreichen (§ 86a Abs. 3 Satz 1), nicht von vornherein aussichtslos erscheint (LSG NRW, Beschluss v. 10.11.2010, L 11 KA 87/10 B ER; Beschluss v. 17.5.2010, L 11 B 14/09 KA ER, MedR 2011 S. 187; Beschluss v. 12.5.2010, L 11 KA 9/10 B ER, GesR 2010 S. 682; Beschluss v. 3.2.2010, L 11 KA 80/09 ER). Ein solcher Antrag wäre auch noch nach Klageerhebung zulässig, denn ab diesem Zeitpunkt können sowohl die Verwaltung als auch das Gericht die Aussetzung der sofortigen Vollziehung anordnen (Keller, SGG, § 86a Rn. 21; a. A. LSG Sachsen, Beschluss v. 26.2.2004, L 3 B 18/04 AL-ER).
Rz. 7
Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt für einen Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 vor, wenn die erstrebte gerichtliche Entscheidung der Antragstellerin einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil erbringen kann (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 30.9.2009, L 19 B 245/09 AS). Eine besondere Eilbedürftigkeit des Begehrens ist nicht erforderlich. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs ist nach dem Gesetz in der Regel unabhängig von der Frage statthaft, ob die Angelegenheit der Sache nach dringlich ist (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 23.11.2009, L 19 B 262/09 AS; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 21.9.2007, L 32 B 1599/07 AS ER).
Rz. 8
Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt nicht dadurch, dass ein Verwaltungsakt bereits vollzogen ist, weil die Anordnung der aufschiebenden Wirkung Voraussetzung für eine Anordnung der Rückgängigmachung der Vollziehung nach § 86b Abs. 1 Satz 2 ist. Eine Anordnung nach § 86b Abs. 1 Satz 2 kommt auch in Betracht, wenn die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs nicht beachtet wird (LSG Thüringen, L 6 RJ 113/02 ER, SGb 2002 S. 449; vgl. auch VGH Bayern, Beschluss v. 28.7.1982, 20 AS 82 D.34, NJW 1983 S. 835, 837). Bei begünstigenden Verwaltungsakten mit Drittwirkung kann die aufschiebende Wirkung auch zugunsten eines belasteten Dritten angeordnet werden.
Rz. 9
Einem zweifelsfrei unzulässigen Widerspruch (vgl. hierzu Kommentierung zu § 86a Rz. 24 ff.) kommt mangels Anfechtbarkeit des verspätet angefochtenen Verwaltungsakts grundsätzlich keine aufschiebende ...