Rz. 65

Auch der Rechtsschutz nach Abs. 2 wird auf Antrag gewährt. Der Antrag muss schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Gerichts gestellt werden. Für den Antrag gilt keine Frist. Er kann jederzeit zurückgenommen werden. Die Rücknahmefiktion (§ 102 Abs. 2 SGG) greift, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, indes wird dies schwerlich relevant werden.

Die Abgrenzung in Verfahren nach Abs. 1 einerseits und Abs. 2 anderseits kann schwierig sein, wenn der Antragsteller sein Rechtsschutzziel nicht deutlich konkretisiert. Zuvörderst ist der Antrags ggf. unter Einbeziehung des Meistbegünstigungsgrundsatzes auszulegen (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 22.12.2010, L 19 AS 2075/10 B ER). Hilfsweise kommt eine Umdeutung in Betracht: Soweit unzulässigerweise entweder der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Abs. 2 statt richtigerweise eine Maßnahme nach Abs. 1 oder umgekehrt eine solche statt einer einstweiligen Anordnung begehrt wird, ist der Antrag in den im Einzelfall jeweils zulässigen Antrag entweder auf Erlass einer Maßnahme nach Abs. 1 oder einer einstweiligen Anordnung nach Abs. 2 umzudeuten (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 29.11.2010, L 6 AS 981/10 B ER; LSG Bayern, Beschluss v. 11.8.2010, L 11 AS 349/10 B ER; Beschluss v. 8.6.2009, L 11 AS 277/09 B PKH; zu §§ 80, 123 VwGO: BVerwG, Beschluss v. 17.2.2000, 1 WB 10/00, NVwZ-RR 2000 S. 442; VGH Bayern, Beschluss v. 22.5.1998, 12 CE 97.3042; Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 21, § 123 Rn. 5).

 

Rz. 66

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann allerdings nicht dahin umgedeutet werden, dass er nunmehr den Erlass einer vorläufigen Regelung während des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X zum Gegenstand haben soll. Denn eine einstweilige Anordnung dient dazu, das jeweilige Hauptsacheverfahren zu flankieren. Ein anderer Anspruch als der im jeweiligen Hauptsacheverfahren verfolgte kann deshalb mit einer einmal beantragten einstweiligen Anordnung nicht gesichert werden. Auch eine Regelungsanordnung kann nach dem Wortlaut von § 86b Abs. 2 Satz 2 nur "in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis" ergehen. Der Anspruch auf Überprüfung nach § 44 SGB X ist aber ein vom Gesetzgeber geschaffener, im Vergleich zum ursprünglichen Leistungsanspruch eigenständiger Anspruch mit weiteren, eigenständigen formellen und materiellen Tatbestandsvoraussetzungen. Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz in Bezug auf das Verfahren nach § 44 SGB X kann deshalb nur im Rahmen eines neuen Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erlangt werden (LSG Sachsen, Beschluss v. 26.5.2011, L 3 AS 378/11 B ER; Beschluss v. 25.8.2008, L 3 B 317/08 AS-ER).

 

Rz. 67

Der jeweilige Antragsteller hat keine Dispositionsbefugnis darüber, ob das Gericht den unterbreiteten Sachverhalt unter Berücksichtigung des jeweiligen Antrags als Sicherungs- und/oder Regelungsanordnung einordnet. Dies folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 123 SGG. So ist es durchaus denkbar, dass der Antragsteller eine Regelungsanordnung begehrt, das angerufene Gericht hingegen eine Sicherungsanordnung erlässt, solange es nur über die Anträge nicht hinausgeht. Lediglich die innerhalb dieser Formen in § 86b Abs. 2 formulierten Voraussetzungen für den Anordnungsgrund differieren. Ein striktes "Entweder/Oder" zwischen Regelungs- und Sicherungsanordnung besteht nicht (LSG NRW, Beschluss v. 10.11.2010, L 11 KA 87/10 B ER; Beschluss v. 14.12.2006, L 10 B 21/06 KA ER; so im Ergebnis auch OVG Münster, Beschluss v. 2.5.1979, XV B 578/79).

 

Rz. 68

Der Antrag sollte z. B. demnach lauten,

  • der Antragsgegnerin (Aufsichtsbehörde) zu untersagen, die von der Vertreterversammlung der ... beschlossene Satzungsänderung ... zu genehmigen. (Sicherungsanordnung)
  • den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ... (z. B. Krankengeld, Arbeitslosengeld, Verletztenrente, Erwerbsminderungsrente) zu gewähren. (Regelungsanordnung)

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