Rz. 71

Voraussetzung ist ferner das Vorliegen der allgemeinen Prozessvoraussetzungen wie Beteiligtenfähigkeit (vgl. dazu die Kommentierung zu § 70) und Rechtsschutzbedürfnis (LSG NRW, Beschluss v. 17.6.2010, L 8 R 451/10 B ER). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn dem Antragsteller ein einfacherer Weg zu Gebote steht, das Rechtsschutzziel zu erreichen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 48).

Der Antragsteller muss sich daher i. d. R. zunächst an die Verwaltung wenden und dort einen Antrag auf die Leistung stellen (zu § 86b Abs. 2 Satz 2: LSG NRW, Beschluss v. 3.2.2006, L 20 B 6/06 SO; Beschluss v. 22.6.2005, L 19 B 3/05 AY ER; Beschluss v. 14.4.2005, L 19 B 5/05 SO ER; Keller, SGG, § 86b Rn. 26b). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Antragsteller die Möglichkeit hat, einen Vorschuss gemäß § 42 SGB I oder vorläufige Leistungen gemäß § 43 SGB I zu beantragen. Dann muss er dies zunächst beim Leistungsträger beantragen, bevor er sich an das Gericht wendet. Dies kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn jedenfalls dem Grunde nach unbestritten ein Anspruch auf die beanspruchte Sozialleistung besteht und lediglich deren Höhe (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB I) oder der zuständige Leistungsträger (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I) noch nicht geklärt ist. War eine Behörde schon mit dem Streitgegenstand befasst und ist bei einer sehr eiligen Sache die Wahrscheinlichkeit gering, dass ein förmlicher "Antrag" rechtzeitig positiv erledigt wird, wird das Rechtsschutzinteresse wegen Art. 19 Abs. 4 GG auch schon vor einer förmlichen "Antragstellung" zu bejahen sein (vgl. LSG Thüringen, Beschluss v. 19.12.2002, L 6 KR 992/02 ER; LSG Sachsen, Beschluss v. 3.1.2006, L 8 B 11/05 AY ER). Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt mit der verbindlichen Erklärung der Behörde, den Verwaltungsakt nicht mehr zu vollziehen bzw. die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs künftig zu beachten (zu § 86a: vgl. LSG NRW, Beschluss v. 20.9.2011, L 19 AS 1509/11 B ER, L 19 AS 1510/11).

Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt ferner, wenn dem Antragsteller zuzumuten ist, Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren zu suchen (LSG NRW, Beschluss v. 12.12.2007, L 4 B 9/07 U ER). Der Antrag ist daher nur zulässig, wenn der Antragsteller neben einem Anordnungsanspruch einen Anordnungsgrund geltend macht (vgl. LSG Bremen, Beschluss v. 14.2.1986, L 4 BR 36/85, SozSich 1987 S. 223). Fehlt dieser offensichtlich, ist der Antrag unzulässig (Keller, SGG, § 86b Rn. 26c). Ob der Anordnungsgrund tatsächlich vorliegt, ist dagegen der Begründetheitsprüfung zuzurechnen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 20).

 

Rz. 72

Eine zulässige einstweilige Anordnung setzt voraus, dass nicht schon eine bestandskräftige Regelung für den Streitgegenstand vorliegt. Nur wenn es noch zu einer Klärung im Hauptsacheverfahren (Verwaltungsverfahren oder Gerichtsverfahren) kommen kann, weil der Bescheid nicht bestandskräftig ist, kann eine vorläufige Regelung bis zu einer endgültigen Entscheidung getroffen werden (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 8.11.2010, L 2 AS 325/10 B ER), wobei alternativ erwogen werden kann, diesen Aspekt der Prüfung des Anordnungsanspruchs zuzuordnen (Bindungswirkung des bestandskräftigen Bescheides, § 77 SGG). Ist z. B. ein ablehnender Bewilligungsbescheid über Leistungen der Grundsicherung bindend geworden, so kann die Gewährung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz nicht zugesprochen werden, denn der Antragsteller hat keinen in der Hauptsache durchsetzbaren Anspruch mehr, der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Abs. 2 Satz 2 vorläufig zugesprochen werden könnte (LSG NRW, Beschluss v. 9.5.2011, L 19 AS 663/11 B ER). Erst wenn ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt wird und der Behörde eine ausreichende Bearbeitungsfrist eingeräumt ist, kann ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wieder zulässig werden. Im Falle eines solchen Antrags sind aber besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil das Unterlassen eines rechtzeitigen Rechtsbehelfs trotz Rechtsbehelfsbelehrung gegen eine Eilbedürftigkeit spricht. Regelmäßig ist bei einer solchen Konstellation dem Antragsteller zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungs- bzw. im anschließenden Hauptsacheverfahren abzuwarten (LSG NRW, Beschluss v. 25.5.2011, L 7 AS 206/11 B ER; vgl. auch Rz. 103).

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