Rz. 118
Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG wird aus einstweiligen Anordnungen vollstreckt. Diese Möglichkeit wird im Falle der Regelungsanordnung nur selten zur Anwendung kommen, da der Antragsteller, der die einstweilige Anordnung über die Gewährung der existenzsichernden Leistung (insbesondere Hilfe zum Lebensunterhalt, Unterkunftskosten) erstritten hat, auf die Vollziehung binnen Monatsfrist drängen und die Behörde dementsprechend die Anordnung ausführen wird. Nach § 929 Abs. 2 ZPO ist die Vollziehung einer vom SG erlassenen einstweiligen Anordnung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem seit dem Antragsteller zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Für eine Vollziehung der einstweiligen Anordnung nach § 929 Abs. 2 ZPO bleibt kein Raum, wenn der Vorsitzende die Vollstreckung gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG aussetzt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 27.10.2011, L 7 AY 3998/11 ER-B).
Rz. 119
Die Vollziehungsfrist ist eine von Amts wegen zu beachtende gesetzliche Frist. Sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 929 Rn. 15), wobei anders als im Zivilprozess (vgl. BGH, Urteil v. 22.10.1992, IX ZR 36/92, BGHZ 120 S. 73, 86) im Verwaltungsprozess eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für möglich erachtet wird (vgl. VGH Hessen, Beschluss v. 7.9.2004, 10 TG 1498/04). Hat der durch die einstweilige Anordnung Begünstigte diese Frist ungenutzt verstreichen lassen, ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unzulässig (BGH, Urteil v. 25.10.1990, IX ZR 211/89, BGHZ 112 S. 356). Für den beantragten vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz fehlt sodann das Rechtsschutzbedürfnis, was auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu beachten ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 9.12.2004, L 16 B 160/04 KR-ER; VGH Hessen, Beschluss v. 7.9.2004, 10 TG 1498/04). Die einstweilige Anordnung ist aufzuheben, ohne dass auf die Gründe eingegangen werden müsste (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 11.1.2006, L 7 SO 4891/05 ER-B, FEVS 58 S. 14).
Rz. 119a
Fraglich ist, wie Abs. 2 mit Blick auf den Fristbeginn zu interpretieren ist. Nach herrschender Meinung berechnet sich diese Frist ab der Zustellung des Beschlusses des SG über den Erlass der einstweiligen Verfügung, in der eine Vollstreckungshandlung i. S. d. § 201 SGG, der auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Anwendung findet (vgl. Keller, SGG, § 86b Rn. 46; Wündrich, SGb 2009 S. 267, 276), erfolgen muss, sofern die Verfügungsentscheidung des SG einen vollstreckbaren Inhalt hat (LSG Sachsen, Beschluss v. 24.11.2009, L 3 SO 70/09 B ER; LSG Bayern, Beschluss v. 27.4.2009, L 8 SO 29/09 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 4.1.2007, L 11 B 509/06 AS ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 11.1.2006, L 7 SO 4891/05 ER B; Adolf, in: Hennig, SGG, § 86b Rn. 103; Keller, a. a. O.). Nach anderer Auffassung soll insbesondere im Hinblick auf die Verpflichtung der Behörden zu rechtstreuem Verhalten und der fehlenden Verweisung in § 86b auf § 927 ZPO die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO erst mit der Kenntnis des Antragstellers von der Nichtbeachtung des gerichtlichen Verfügungsbeschlusses durch die Antragsgegnerin zu laufen beginnen (Plagemann, ASR 2008 S. 138, 139 m. w. N.) bzw. in einstweiligen Streitigkeiten um existenzsichernde Leistungen das ernsthafte Verlangen auf Zurückweisung der Beschwerde als Vollziehungshandlung ausreichend sein (LSG Sachsen, Beschluss v. 22.4.2008, L 2 B 111/08 AS ER). Für eine einengende Anwendung im sozialgerichtlichen Verfahren entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut besteht indes kein Anlass (vgl. aber Geiger, info also 2007 S. 243).
Rz. 120
Problematisch ist ferner, ob auch bei einer Sicherungsanordnung auf Unterlassung eine gesonderte Vollziehung durch Zustellung im Parteibetrieb zu fordern ist (so BGH, Urteil v. 22.10.1992, IX ZR 36/92, BGHZ 120 S. 73 = NJW 1993 S. 1076, der gemäß § 17a Abs. 5 GVG über eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit zu entscheiden hatte).