Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Einstweilige Anordnung. Vollziehungsfrist. analoge Anwendung der § 929 Abs 2 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vollziehungsfrist des § 929 Abs 2 ZPO ist von Amts wegen zu beachten; sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden.
2. Ist diese Frist versäumt, ist die Vollziehung der unwirksam gewordenen einstweiligen Anordnung - auch für künftig fällig werdende Leistungen - unzulässig. Das dadurch bewirkte Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses ist auch im Beschwerdeverfahren zu beachten und führt ohne inhaltliche Prüfung zur Aufhebung des nicht vollzogenen Beschlusses (vgl LSG Stuttgart vom 11.1.2006 - L 7 SO 4891/05 ER-B = FEVS 58, 14).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 26. September 2007 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Freiburg (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig und begründet. Der angefochtene Beschluss des SG vom 26. September 2007 ist schon deswegen aufzuheben, weil die Antragsteller die Frist zur Vollziehung der einstweiligen Anordnung versäumt haben; damit ist ihr Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte vorläufige Regelung entfallen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 11. Januar 2006 - L 7 SO 4891/05 ER-B - FEVS 58, 14; Landessozialgericht ≪LSG≫ Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. Januar 2007 - L 11 B 509/06 AS ER - Breith 2007, 535; Senatsbeschluss vom 28. September 2007 - L 7 AS 4061/07 ER-B -).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG); heranzuziehen ist mithin auch die Fristenregelung in § 929 Abs. 2 ZPO (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86b Rdnr. 46). Dies gilt auch bei der Vollstreckung gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. Januar 2007, a.a.O.).
Mit Beschluss vom 26. September 2007 hatte das SG den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern ab dem 16. August 2007 bis zum 31. Januar 2008 - unter Anrechnung der ihnen bereits bewilligten Leistungen - vorläufig Leistungen gemäß § 2 AsylbLG in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Beschluss bedurfte der Vollziehung. Dies ist hier nicht geschehen, der Antragsgegner hat die einstweilige Anordnung auch nicht befolgt, wie er mit Schreiben vom 8. November 2007 mitgeteilt hat; schon deswegen ist die Entscheidung des SG aufzuheben.
Nach der gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 929 Abs. 2 ZPO ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem die Anordnung dem Beteiligten, auf dessen Gesuch sie erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Diese Vollziehungsfrist ist von Amts wegen zu beachten; sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden, wobei - anders als im Zivilprozess (vgl. Bundesgerichtshof ≪BGH≫ BGHZ 120, 73, 86) - im Verwaltungsprozess freilich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für möglich erachtet wird (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof ≪VGH≫, Beschluss vom 7. September 2004 - 10 TG 1498/04 - ≪juris≫; Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Auflage, § 123 Rdnr. 76.1). Ist die Frist versäumt, ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unwirksam und damit unzulässig (vgl. BGHZ 112, 356, 360 f.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Nr. 46; Funke-Kaiser, a.a.O., Rdnr. 77); für den beantragten vorläufigen Rechtsschutz fehlt - was auch im Beschwerdeverfahren nicht außer Acht gelassen werden darf (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 7. September 2004 a.a.O.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Dezember 2004 - L 16 B 160/04 KR ER - ≪juris≫) - nunmehr das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Januar 2006, a.a.O.).
Die - dem Schuldnerschutz dienende - Frist des § 929 Abs. 2 ZPO haben die Antragsteller nicht eingehalten; denn diese beginnt mit der Zustellung der stattgebenden einstweiligen Anordnung zu laufen (vgl. Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫, Kammerbeschluss vom 27. April 1988 - 1 BvR 549/87 - NJW 1988, 3141; BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Juli 1993 - 2 BvR 1257/93 - ≪juris≫; BGHZ 112, 356, 359; Hessischer VGH, Beschluss vom 7. September 2004 - a.a.O.; Funke-Kaiser, a.a.O., Rdnr. 76). Da der Beschluss vom 26. September 2007 dem Bevollmächtigten der Antragsteller gegen E...