Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollziehungsfrist für eine einstweilige Anordnung
Leitsatz (amtlich)
Nach der gemäß § 86b Abs 2 S 4 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 929 Abs 2 ZPO ist die Vollziehung einer vom Sozialgericht erlassenen einstweiligen Anordnung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem seit dem Antragsteller zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Hat der durch die einstweilige Anordnung Begünstigte diese Frist ungenutzt verstreichen lassen, ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unzulässig. Für den beantragten vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz fehlt nunmehr das Rechtsschutzbedürfnis, was auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu beachten ist. Die einstweilige Anordnung ist aufzuheben, ohne dass auf die Gründe eingegangen werden müsste.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. September 2005 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Stuttgart (SG) am 17. November 2005 nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig und begründet. Der angefochtene Beschluss des SG vom 22. September 2005 ist schon deswegen aufzuheben, weil die Antragstellerin die Frist zur Vollziehung der einstweiligen Anordnung versäumt hat; damit ist ihr Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte vorläufige Regelung entfallen.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG); heranzuziehen ist mithin auch die Fristenregelung in § 929 Abs. 2 ZPO.
Mit Beschluss vom 22. September 2005 hatte das SG den Antragsgegner verpflichtet, “vorläufig die Kosten der Unterbringung der Antragstellerin für die Zeit vom 18. August bis 17. November 2005 im Rahmen der Eingliederungshilfe in Höhe von 209,34 € täglich unter Berücksichtigung der bereits bewilligten täglichen Kosten in Höhe von 176,38 € zu übernehmen.„ Der Beschluss bedurfte der Vollziehung. Dies ist hier nicht geschehen; schon deswegen ist die Entscheidung des SG aufzuheben. Deshalb kommt es auf den im angefochtenen Beschluss nicht beachteten Umstand nicht mehr an, dass der in § 75 Abs. 3 und 4 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) geregelte Sozialhilfeanspruch auf Übernahme der Kosten der Heimunterbringung (vgl. Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ BVerwGE 97, 53, 56; ferner Münder in LPK-SBG XII, 7. Auflage, § 75 Rdnrn. 31, 34; Neumann in Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rdnrn. 32, 42) von vornherein nur insoweit besteht, als die Vergütung heimvertraglich geschuldet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1994, 5 C 28/91 - ≪insoweit in BVerwGE 97, 53 ff. nicht abgedruckt≫; BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2004 - 5 B 50/04 - ≪juris≫). Dem ist der Senat in ständiger Rechtsprechung gefolgt (vgl. z.B. Beschlüsse vom 22. September 2005 - L 7 SO 3421/05 ER-B, 3422/05 ER-B, 3423/05 ER-B und 3424/05 ER-B -, vom 17. November 2005 - L 7 SO 4271/05 ER-B -, vom 18. November 2005 - L 7 SO 4272/05 ER-B, 4326/05 ER-B, 4327/05 ER-B und 4416/05 ER-B - sowie vom 13. Dezember 2005 - L 7 SO 4788/05 ER-B -).
Nach der gemäß 86b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 929 Abs. 2 ZPO ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem die Anordnung dem Beteiligten, auf dessen Gesuch sie erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Diese Vollziehungsfrist ist von Amts wegen zu beachten; sie kann weder abgekürzt noch verlängert werden, wobei - anders als im Zivilprozess (vgl. Bundesgerichtshof ≪BGH≫ BGHZ 120, 73, 86) - im Verwaltungsprozess freilich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für möglich erachtet wird (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof ≪VGH≫, Beschluss vom 7. September 2004 - 10 TG 1498/04 - ≪juris≫; Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnr. 76). Ist die Frist versäumt, ist die Vollziehung der einstweiligen Anordnung unwirksam und damit unzulässig (vgl. BGHZ 112, 356, 360 f.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86b Nr. 46; Funke-Kaiser, a.a.O., Rdnr. 77); für den beantragten vorläufigen Rechtsschutz fehlt - was auch im Beschwerdeverfahren nicht außer Acht gelassen werden darf (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 7. September 2004 a.a.O.; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Dezember 2004 - L 16 B 160/04 KR ER - ≪juris≫) - nunmehr das Rechtsschutzbedürfnis.
Die - dem Schuldnerschutz dienende - Frist des § 929 Abs. 2 ZPO hat die Antragstellerin nicht eingehalten; denn diese beginnt mit de...