1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 88 Abs. 2 ist durch das 6. SGGÄndG v. 17.8.2001 (BGBl. I S. 2144, 2149) mit Wirkung zum 2.1.2002 geändert worden. Für Untätigkeitsklagen wegen Nichtbescheidung eines Widerspruchs in einer Krankenversicherungsangelegenheit oder einer Angelegenheit der damaligen Bundesanstalt für Arbeit galt zuvor die erheblich kürzere Wartefrist von einem Monat, welche die Behörden kaum einhalten konnten, da im Falle der Nichtabhilfe des Widerspruchs eine Entscheidung der zuständigen Widerspruchstelle im Rahmen einer dafür anzuberaumenden Sitzung herbeigeführt werden muss. Nunmehr gilt einheitlich für alle Widerspruchsverfahren eine 3-monatige Wartefrist. Der Gesetzgeber hielt die Monatsfrist vor allem wegen der angestiegenen Arbeitsbelastung nicht mehr für zeit- und sachgerecht (vgl. BT-Drs. 14/5943 S. 26 zu Art. 1 Nr. 36).

Durch die letzten SGGÄndGe haben sich keine Änderungen ergeben.

 

Rz. 2

§ 88 Abs. 1 regelt den Fall der Untätigkeit einer Behörde auf einen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts hin und sieht eine 6-monatige Wartefrist vor. Im Gegensatz zur Frist des Abs. 2 geht der Gesetzgeber davon aus, dass sich die Behörde erstmals mit der Angelegenheit beschäftigt und daher zur sorgfältigen Bearbeitung noch eine längere Zeitspanne benötigt. Nach Einlegung des Widerspruchs muss die Behörde die Sache i. d. R. nur noch einmal überprüfen. Sind dabei neue Tatsachen zu überprüfen, liegt grundsätzlich ein Grund für die Nichtbescheidung vor.

Die Vorschrift soll einerseits die Behörde anhalten, innerhalb angemessener Zeit eine Entscheidung zu treffen, damit die Rechte des Betroffenen nicht durch eine Untätigkeit vereitelt werden. Andererseits soll sie verhindern, dass die Gerichte vorzeitig mit Untätigkeitsklagen beschäftigt werden. Deshalb legt sie eine grundsätzlich nicht zu unterschreitende Sperrfrist fest, vor deren Ablauf eine Klage zulässigerweise nicht erhoben werden kann.

 

Rz. 3

Ähnliche Regelungen enthält § 75 VwGO; die Bestimmungen weichen allerdings nicht unerheblich voneinander ab. So sieht § 75 VwGO z. B. eine im SGG nicht vorgesehene Verkürzung der Frist wegen besonderer Umstände vor. Rechtsdogmatisch ist § 75 VwGO als besondere Zulässigkeitsvoraussetzung angelegt; es handelt sich nur um eine Untätigkeitsklage im weiteren Sinne. § 88 regelt die Erhebung einer Bescheidungsklage als Unterart der Verpflichtungsklage und damit eine Untätigkeitsklage im engeren Sinne (vgl. BSG, Urteil v. 8.12.1993, 14a RKa 1/93, BSGE 73 S. 244, 247). Das gilt auch für die in Abs. 2 geregelte Fallgestaltung, was früher umstritten war (BSGE 19 S. 164).

2 Rechtspraxis

2.1 Zulässigkeit der Untätigkeitsklage

2.1.1 Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts

 

Rz. 4

Die Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 ist nur zulässig, wenn der Kläger einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts gestellt hat. Die Untätigkeitsklage muss also auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet sein. Es genügt nicht, wenn ein sonstiges Verwaltungshandeln begehrt wird, wie z. B. in der der Entscheidung des Hessischen LSG zugrunde liegenden Fallgestaltung, bei welcher eine bestimmte Zahlungsweise für Stromkosten streitig war (LSG Hessen, Urteil v. 11.12.2002, L 14 KR 642/01). Die Untätigkeitsklage muss sich auf einen Gegenstand beziehen, der Gegenstand einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sein kann (vgl. hierzu auch LSG NRW, Urteil v. 14.2.2007, L 12 AS 15/05).

Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob die Wartefrist zu beachten ist, wenn die Verwaltung von Amts wegen tätig werden muss, wie dies z. B. in der Unfallversicherung oder nach dem Kenntnisgrundsatz des § 18 Abs. 1 SGB XII bei Sozialhilfeleistungen der Fall ist (siehe hierzu Bley, in: GK, § 88 Anm. 2a). Ganz überwiegend wird dies bejaht, da die Behörden in solchen Fällen nicht besser gestellt werden sollen. Eine andere Frage ist, wann die Wartefrist dann beginnt; denkbar wäre, sie mit Kenntnis der Behörde von ihrer Verpflichtung zum Tätigwerden beginnen zu lassen. Nach überwiegender Auffassung beginnt sie ebenfalls mit der Stellung des Antrags bei der Behörde (so auch LSG NRW, Beschluss v. 2.2.2007, L 20 B 127/06 SO, wonach ein konkretes Leistungsverlangen vorausgesetzt wird; SG Stade, Beschluss v. 23.4.2003, S 7 U 251/01 WA = HVBG-INFO 2003 S. 2508; Bley, in: GK, § 88 Anm. 3a; Leitherer in Meyer-Ladewig, § 88 Rn. 3).

Die Untätigkeitsklage nach Abs. 2 ist zulässig, wenn der Kläger Widerspruch eingelegt hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Widerspruch zulässig ist. Ist der Widerspruch unzulässig, hat die zuständige Widerspruchsstelle ihn als unzulässig zurückzuweisen (BSG, Urteil v. 11.11.2003, B 2 U 36/02 R, SozR 4-1500 § 88 Nr. 1; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15.12.2010, L 4 U 124/10, Breith 2011, 385).

Für die Tatsache der Einlegung eines Widerspruchs und den Zeitpunkt der Einlegung ist der Kläger beweispflichtig (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 26.3.2007, L 20 B 324/06 AS).

2.1.2 Keine sachliche Bescheidung

 

Rz. 5

Weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ist, dass die Behörde den Kläger sachlich nicht beschieden hat. Von einer sachlichen Bescheidung kann nur gesprochen werden, wenn die Behörde die Angelegenheit mittels Verwalt...

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