2.1 Voraussetzungen
2.1.1 Rechtshängigkeit, Verwaltungsakt
Rz. 5
Die Einbeziehung eines Verwaltungsakts setzt voraus, dass ein Rechtsstreit über einen anderen Verwaltungsakt rechtshängig i. S. d. § 94 ist. Die Klage muss nach § 90 erhoben und noch rechtshängig sein. Wird das Verfahren hinsichtlich des ursprünglichen Verwaltungsakts später für erledigt erklärt, so hindert dies nicht; der Rechtsstreit bleibt hinsichtlich des neuen Verwaltungsakts weiter rechtshängig, es sei denn, er wird vollumfänglich für erledigt erklärt. Was tatsächlich gewollt war, ist im Zweifelsfalle im Wege der Auslegung zu ermitteln (vgl. hierzu auch den dem BSG-Urteil v. 2.10.2008, B 9 VH 1/07 R, SozR 3-3100 § 60 Nr. 4, zugrunde liegenden Fall).
Rz. 6
Bei einem Wiederaufnahmeverfahren findet § 96 keine Anwendung; das Verfahren mit dem Gegenstand des ursprünglichen Verwaltungsakts war bei Erlass des neuen Verwaltungsakts nicht mehr rechtshängig (Hessisches LSG, Urteil v. 19.10.2000, L 5 V 915/96).
Rz. 7
Unerheblich ist, ob die Klage zulässig ist (BSGE 5 S. 158, 162). Ein neuer Verwaltungsakt wird auch im Falle der Unzulässigkeit der Klage Gegenstand des Verfahrens. Die Klage ist dann nur im Hinblick auf den neuen Verwaltungsakt zulässig. Dasselbe gilt bei Einlegung eines Rechtsmittels. Wird aber die Klage erst nach Fristablauf erhoben und der neue Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erlassen, ist der Ursprungs-Verwaltungsakt bestandskräftig geworden und eine Einbeziehung des neuen Verwaltungsakts nicht möglich, da zur Zeit des Erlasses kein Klageverfahren rechtshängig war. Da das Vorverfahren bereits abgeschlossen war, kommt auch eine Einbeziehung über § 86 nicht mehr in Betracht (so auch Pawlak, in: Hennig, § 96 Rn. 18 f.; a. A. Leitherer, in: Meyer-Ladewig, 8. Aufl., § 96 Rn. 2).
Rz. 8
Gegenstand des anhängigen Verfahrens muss ein Verwaltungsakt sein, so dass regelmäßig die Anfechtungsklage statthafte Klageart war. Es kann sich aber auch um eine Feststellungsklage handeln, die einen Verwaltungsakt oder seine Nichtigkeit zum Gegenstand hat. Es genügt auch eine Handlung der Behörde, welche den Rechtsschein eines Verwaltungsakts setzt (BSG, Urteil v. 24.11.1978, 11 RA 9/78, SozR 1500 § 96 Nr. 13; BSGE 24 S. 236; BSGE 26 S. 266). Eine Fortsetzungsfeststellungsklage wird zum Teil nicht als ausreichend angesehen, da sich der zugrunde liegende Verwaltungsakt dann bereits erledigt hat (Pawlak, in: Hennig, § 96 Rn. 28). § 96 findet keine Anwendung, wenn eine privatrechtliche Abtretungserklärung anstelle einer behördlichen Entscheidung Gegenstand des Verfahrens ist (LSG NRW, Urteil v. 10.1.2001, L 12 AL 246/99).
2.1.2 Ersetzung oder Abänderung
Rz. 9
Der neue Verwaltungsakt muss den alten abändern oder ersetzen. Das bedeutet, es muss ein neuer, wirksamer Verwaltungsakt erlassen worden sein, sei es von der beklagten Behörde oder von einem Beigeladenen (BSG, Urteil v. 30.11.1978, 12 RK 33/76, BSGE 47 S. 201, 203).
Eine Abänderung liegt vor, wenn der Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch eine Neuregelung ersetzt wird. Bei einer Ersetzung wird der alte Verwaltungsakt vollständig ersetzt. Maßgebend ist der jeweilige Verfügungssatz, nicht die Begründung (BSG, Urteil v. 20.7.2005, B 13 RJ 23/04 R = SozR 4-1500 § 96 Nr. 3; BSG, Urteil v. 9.9.1982, 1 RA 74/81, SozR 1500 § 96 Nr. 27). Sowohl eine Abänderung als auch Ersetzung setzen voraus, dass der Regelungsgegenstand des neuen Verwaltungsakts mit dem des früheren identisch hinsichtlich des Verfügungssatzes und des Streitstoffes ist (LSG NRW, Beschluss v. 3.5.2010, L 11 B 23/09 KA ER, juris, Rn. 40). Bei geänderter Tatsachengrundlage kommt danach eine Einbeziehung nicht in Betracht.
Ein Ersetzen liegt auch dann vor, wenn der neue Verwaltungsakt den alten zwar aufhebt, aber inhaltlich die gleiche Entscheidung trifft, insbesondere um eine fehlende Anhörung nachzuholen oder bei einer Ermessensentscheidung die Ermessenserwägungen zu ergänzen (BSG GrS, Beschluss v. 6.10.1994, GS 1/91, BSGE 75 S. 159 = SozR 3-1300 § 41 Nr. 7 = NVwZ 1996 S. 824).
Rz. 10
Abändernde oder ersetzende Verwaltungsakte werden allerdings nur insoweit Streitgegenstand, als sie mit dem Streitstoff zusammenhängen; sie müssen sich auf die materielle Beschwer des Klägers auswirken (BSGE 4 S. 24, 26; BSGE 5 S. 13, 16; BSGE 10 S. 103, 107; BSGE 32 S. 11, 12; BSGE 47 S. 168, 170; BSGE 47 S. 241; BSGE 60 S. 297, 298; BSGE 91 S. 275; BSG, Urteil v. 20.7.2005, B 13 RJ 23/04 R = SozR 4-1500 § 96 Nr. 3; Urteil v. 20.10.2010, B 13 R 82/09 R, SozR 4-6480 Art. 22 Nr. 2 = Breith 2011, 456). Abhilfebescheide, welche die Beschwer vollständig beseitigen, fallen nicht unter § 96 (BSG, SozR 1500 § 96 Nr. 12). Ebenso wenig greift § 96, wenn die Behörde zur Ausführung eines noch nicht rechtskräftigen Urteils einen Bescheid erteilt, denn ein solcher Bescheid trifft nur vorläufige Regelungen (BSG, Beschluss v. 6.1.2003, B 9 V 77/01 B; BSGE 9 S. 169; SozR § 96 Nr. 12 und 18; SozR 3-2500 § 85 Nr. 27). Das gilt auch für sonstige vorläufige Regelungen (vgl. BSG, Urteil v. 24.1.2003, B 12 KR 18/02 R, SozR 4-2500 § 266 Nr. 2 = USK 2004 S. 151).
Hins...