1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 99 gilt seit Inkrafttreten des SGG unverändert. Die Regelung dient prozessökonomischen Zwecken und ist auch Ausfluss der Dispositionsmaxime. Sie entspricht im Wesentlichen den vergleichbaren Regelungen der anderen Verfahrensordnungen. Eine spezielle Form der Klageänderung ist außerdem in § 96 geregelt, die Einbeziehung von Zweitbescheiden; da § 99 die allgemeinere Regelung darstellt, gilt er im Anwendungsbereich des § 96 nicht. § 99 findet grundsätzlich entsprechende Anwendung auf andere Anträge, wenn dadurch der Streitgegenstand geändert wird, insbesondere einstweilige Anträge (vgl. hierzu die Fallgestaltungen in den Entscheidungen des BayLSG, Beschluss v. 11.4.2011, L 7 AS 211/11 B ER, juris, und des LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 31.8.2011, L 19 AS 842/11 B ER, juris).

 

Rz. 2

§ 99 gilt über § 153 Abs. 1 auch im Berufungsverfahren. Das Berufungsgericht ist befugt, über eine zulässigerweise umgestellte Klage erstmals eine gerichtliche Entscheidung zu treffen und damit insoweit erstinstanzlich tätig zu werden (BSG, Urteil v. 21.7.1992, 4 RA 1/91, USK 9270 = Die Beiträge 1993 S. 171 ff.). Eine Klageänderung im Berufungsverfahren setzt allerdings voraus, dass die Berufung zur Zeit der Einlegung zulässig war. Eine unzulässige Berufung kann nicht durch eine Klageänderung zulässig gemacht werden (BSG, Urteil v. 2.12.2008, B 2 KN 2/07 U R, UV-Recht aktuell 2009, 526 = SGb 2009, 89; BSG, Urteil v. 31.7.2004, B 4 RA 20/01 R, SozR 3-1500 § 29 Nr. 1; LSG Niedersachsen, Urteil v. 29.9.1998, L 1 Ar 148/96, E-LSG SF-045; LSG Berlin, Urteil v. 25.3.2004, L 6 RA 135/97).

 

Rz. 3

Nach § 168 Satz 1 dagegen sind Klageänderungen im Revisionsverfahren nicht mehr zulässig. Anwendung finden in diesem Rahmen aber grundsätzlich die Regelungen des § 99 Abs. 3 (vgl. z. B. BSG, Urteil v. 15.2.1990, 7 RAr 22/89, NZS 1990 S. 705 f.; siehe hierzu aber unter Rn. 9 ff.). Zudem kann dort auch noch ein Hilfsantrag auf Neubescheidung gestellt werden (BSG, Urteil v. 27.4.2005, B 6 KA 23/04 R, USK 2005 S. 115).

2 Rechtspraxis

 

Rz. 4

§ 99 Abs. 1 bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine (echte) Klageänderung zulässig ist. Absatz 2 enthält hierzu eine ergänzende Regelung. Um feststellen zu können, ob ein umgestellter Klageantrag zulässig ist, muss allerdings zunächst geprüft werden, ob überhaupt eine (echte) Klageänderung i. S. d. Abs. 1 vorliegt. Absatz 3 legt einige Fälle fest, die nicht als Klageänderung nach Abs. 1 anzusehen sind. Darüber hinaus sind weitere Abgrenzungen vorzunehmen. Handelt es sich um eine Klageänderung i. S. d. § 99 Abs. 1, sind neben den Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Änderung die allgemeinen Prozessvoraussetzungen für die geänderte Klage zu prüfen. Im Folgenden soll zunächst eine Abgrenzung der Klageänderung gegenüber einer sonstigen Umstellung eines Antrags (im weitesten Sinne) vorgenommen werden.

2.1 Klageänderung nach § 99 Abs. 1

 

Rz. 5

Klageänderung bedeutet Änderung des Streitgegenstands, d. h. des prozessualen Anspruchs in einem bereits anhängigen Klageverfahren (zum Begriff des Streitgegenstands nach der herrschenden prozessualen Theorie und der ständigen Rspr. des BSG siehe SozR 3-1500 § 96 Nr. 9).

 

Rz. 6

Die Änderung kann sich aus einer Änderung des Klageantrags, des Klagegrundes, also des zugrunde liegenden Sachverhalts, oder aufgrund eines Beteiligtenwechsels ergeben.

Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen der Kläger – etwa auf einen Hinweis des Vorsitzenden nach § 106 Abs. 1 – den Klageantrag klarstellt oder berichtigt (LSG NRW, Urteil v. 9.11.2000, L 5 KR 12/00) oder erstmals sachdienlich formuliert. In einem solchen Fall liegt keine Klageänderung vor. Stellt der Kläger eingangs keinen ausdrücklichen Antrag, so ist es eine Frage der Auslegung anhand des geschilderten Sachverhalts, ob sich das Begehren durch eine neue oder anderweitige Schilderung oder einen erstmals gestellten Antrag geändert hat und damit eine Klageänderung vorliegt oder ob es sich nur um einen ergänzenden Sachvortrag handelt, der Sachverhalt an sich aber keine Änderung erfahren hat (vgl. den Fall des BSG, Urteil v. 17.2.2005, B 13 RJ 31/04 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 3 = NZS 2006 S. 53 = SGb 2006 S. 311, zu der während des Verfahrens eingetretenen Rechtsänderung bei den Erwerbsminderungsrenten). Auch für die Auslegung von Prozesshandlungen ist die Auslegungsregel des § 133 BGB entsprechend anzuwenden (BSG, SozR 3-2500 § 95 Nr. 1 m. w. N.). Zu berücksichtigen ist außerdem, dass das Gericht nach § 123 ohnehin nicht an die genaue Fassung der Anträge gebunden ist. Die Klageänderung muss sich daher deutlich aus dem neuen Antrag, einem neuen Sachverhalt oder einem Beteiligtenwechsel ergeben. So kann nach der Rechtsprechung des BSG unter Umständen nicht von einer Klageänderung gesprochen werden, wenn aufgrund eines Versicherungsfalls mehrere Leistungen begehrt werden, z. B. bei einem Antrag auf Arbeitslosengeld weitere Leistungen des Arbeitsamtes begehrt werden (vgl. SozR 3-4100 § 100 Nr. 5).

 

Rz. 7

Eine Klageänderung liegt daher auch nicht vor, wenn

  • die Bezeichnung eines Beteili...

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