Rz. 5

Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 16.3.2011, L 11 KA 96/10 B ER, MedR 2011 S. 428). In den Rechtsmittelinstanzen ist das Rechtsschutzbedürfnis identisch mit der Beschwer (LSG NRW, Urteil v. 6.5.1999, L 3 B 2/99 RJ; Keller, SGG, vor § 51 Rn. 16b; vgl. auch Wenzel, NJW 2002 S. 3353, 3357). Eine pekuniäre oder ideelle Beschwer genügt nicht; notwendig ist eine rechtliche Beschwerde, die für den Beigeladenen ebenso wie für die Hauptbeteiligten Voraussetzung für die selbständige Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes und die Rechtsmitteleinlegung ist (vgl. BSG, Urteil v. 15.11.1983, 1 S 10/82, BSGE 56 S. 45, 47 = SozR 2100 § 70 Nr. 1; BSG, Urteil v. 6.2.1992, 7 RAr 78/90, SozR 3-1500 § 54 Nr. 9; vgl. BSG, Urteil v. 22.6.1988, 9/9a RV 41/86, SozR 1300 § 48 Nr. 49; BSG, Urteil v. 14.12.1988, 9 BV 32/88; BSG, Urteil v. 12.2.1997, 9 RVs 1/95 9, SozR 3-3870 § 4 Nr. 18; BSG, Urteil v. 3.8.1999, B 4 RA 34/99 R; BSG, Urteil v. 9.6.1999, B 6 KA 76/97 R, SozR 3-5520 § 44 Nr. 1; BSG, Urteil v. 29.9.1999, B 6 KA 45/98 R, USK 99157; LSG NRW, Urteil v. 21.10.1998, L 11 KA 74/98, MedR 1999 S. 237). Die rechtliche Beschwer entspricht dem Unterschied zwischen dem Antrag des Klägers vor dem SG und dem, was ihm das SG zugesprochen hat, im Ergebnis mithin dem, was der Kläger beantragt und das SG versagt hat (BGH, Urteil v. 2.10.2001, VI ZR 356/00, NJW 2002 S. 212, 213; BGH, Urteil v. 2.3.1994, XII ZR 207/92, NJW 1994 S. 2697; BGH, Urteil v. 9.10.1990, VI ZR 89/90, NJW 1991 S. 703; LSG NRW, Urteil v. 15.8.2000, L 16 P 49/99; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 143 Rn. 77; Rohwer-Kahlmann, SGG, VII/1998, vor § 143 Rn. 10).

 

Rz. 6

Für das Rechtsmittel des Klägers kommt es auf die formelle Beschwerde an (BSG, Urteil v. 15.6.2010, B 2 U 22/09 R, UV-Recht Aktuell 2010 S. 1161; Urteil v. 2.12.2008, B 2 KN 2/07 U R, UV-Recht Aktuell 2009 S. 526; Urteil v. 17.10.2007, B 6 KA 42/06 R, BSGE 99 S. 145; vgl. auch BGH, Urteil v. 27.10.2011, III ZR 235/10); diese liegt grundsätzlich vor, wenn der Tenor der vorinstanzlichen Entscheidung hinter dem Antrag zurückbleibt (BSG, Urteil v. 29.9.1999, B 6 KA 45/98 R, USK 99157; BSG, Urteil v. 6.2.1992, 7 RAr 78/90, SozR 3-1500 § 54 Nr. 9). Das gilt auch, wenn der Hauptantrag abgelehnt oder nach dem weniger weiten Hilfsantrag erkannt wird. Der Kläger ist auch beschwert, wenn bei unbeziffertem Klageantrag der zuerkannte Betrag wesentlich hinter den Vorstellungen zurückbleibt, die er dem Gericht gegenüber geäußert hat (BGH, Urteil v. 31.1.1969, VI ZR 197/67, NJW 1969 S. 1427). Wird dem Klageantrag mit einer anderen rechtlichen Begründung stattgegeben, als von der klagenden Partei gewünscht, ist diese nicht beschwert (BGH, Urteil v. 2.10.2001, VI ZR 356/00, NJW 2002 S. 212, 213). Wird also die Abweisung als unzulässig aus dem Grunde A durch eine Abweisung als unzulässig aus dem Grunde B ersetzt, fehlt es an einer Beschwer. Auch im Übrigen ist der Kläger nicht beschwert, wenn das Gericht die positive Entscheidung auf eine andere Begründung stellt, als vom Kläger vorgetragen.

 

Rz. 7

Er ist aber dann beschwert, wenn die Klage als unbegründet statt als unzulässig abgewiesen wird; denn wegen der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung wird ihm die Möglichkeit genommen, sein Begehren nochmals durch Klage geltend zu machen (Leitherer, SGG, vor § 143 Rn. 7). Demgemäß ist eine Beschwer auch dann gegeben, wenn statt einer beantragten Sachentscheidung der Rechtsstreit an das SG zurückverwiesen wird (§ 159).

 

Rz. 8

Der obsiegende Kläger kann – vorbehaltlich der Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 i. V. m. § 99 SGG – die Berufung auch nicht dazu nutzen, die Klage zu erweitern. Begehrt er beispielsweise die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (§ 2 Abs. 3 SGB IX) und obsiegt er insoweit vor dem SG, kann er mit der Berufung nicht geltend machen, der GdB müsse nunmehr mit 60 oder mehr festgesetzt werden (vgl. LSG Berlin, Urteil v. 29.10.2002, L 13 SB 59/01; LSG NRW, Beschluss v. 20.11.2003, L 10 SB 102/02). Die Berufung (hier: mit dem Antrag, die Schwerbehinderteneigenschaft = GdB 50 festzustellen) ist auch dann unzulässig, wenn das SG der Klage, den GdB "höher als mit 30" zu bewerten, durch Feststellung eines GdB von 40 stattgegeben hat (LSG Bayern, Urteil v. 25.3.1999, L 15 SB 47/97). Dem Kläger als Rechtsmittelführer fehlt dann ein Rechtsschutzinteresse für die Rechtsmittelinstanz, weil die angefochtene Entscheidung ihm nichts versagt, was er vor dem SG beantragt hat (formelle Beschwer). Hat er vor dem SG beantragt, die Rente entsprechend höher festzusetzen und erhöht das SG die Rente, fehlt es gleichermaßen an einer Beschwer (Leitherer, SGG, vor § 143 Rn. 9). Deswegen ist es dem Kläger – wiederum vorbehaltlich der Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 i. V. m. § 99 – auch verwehrt, mit der Berufung nunmehr erstmals die Zuerkennung von Nachteilsausgleichen (vgl. BSG, Urteil v. 12.12.1995, 9 BVs 28/95; LSG NRW, Urteil v. 16.12.1998, L 10 SB 20/98) oder Anerkennung von Schäd...

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