Rz. 14
Die Beschwer muss grundsätzlich bei Einlegung des Rechtsmittels vorliegen und kann nicht durch Klageerweiterung im Berufungsverfahren begründet werden (BSG, Urteil v. 29.9.1999, B 6 KA 30/98 R, SozR 3-1500 § 54 Nr. 40; BSG, Urteil v. 25.7.1985, 7 RAr 33/84, SozR 1500 § 144 Nr. 30; LSG NRW, Beschluss v. 17.11.2010, L 19 AS 1275/10; Leitherer, SGG, vor § 143 Rn. 10), denn die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht das alleinige Ziel der Berufung sein (BGH, Urteil v. 4.2.2002, II ZR 214/01, NJW-RR 2002 S. 1073). Fällt die Beschwer nach Verkündung des Urteils und vor Einlegung des Rechtsmittels weg, ist das Rechtsmittel unzulässig (vgl. BSG, Urteil v. 21.6.1995, 6 RKa 48/94, NZS 1996 S. 191). Als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung für jedes Rechtsmittel muss die Beschwer daher noch zum Zeitpunkt der Entscheidung gegeben sein. Ihr Wegfall macht das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschluss v. 29.6.2004, X ZB 11/04, NJW-RR 2004 S. 1365; a. A.: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl. 2012, Grundz. vor § 511 Rn. 23).
Rz. 15
Sofern die Beschwerde nach Urteilsverkündung, jedoch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist und vor Einlegung des Rechtsmittels entfällt, wird der Kläger die Klage zurücknehmen müssen (§ 102 Satz 1 i. d. F. des 6. SGGÄndG). Auch eine Erledigungserklärung kann noch in diesem Zeitrahmen abgegeben werden. Scheidet diese Möglichkeit aus tatsächlichen Gründen aus, soll ein Rechtsmittel mit dem Ziel eingelegt werden können, die Erledigung in der nächsten Instanz zu erreichen (Leitherer, vor § 143 Rn. 10a). Soweit hierzu die Auffassung vertreten wird, dass es für die Beschwer auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung ankommt, trifft dies zwar zu (so Leitherer, SGG, vor § 143 Rn. 10a m. w. N.), dieser Ansatz ist jedoch irrelevant für die Frage, ob das Rechtsmittel zulässig ist. Entscheidend hierfür ist nicht, wodurch die Beschwer inhaltlich bestimmt wird, vielmehr wann und in welchem Umfang sie vorliegen muss. Das aber ist der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels (BSG, Urteil v. 19.12.1973, 7 RAr 59/72, BSGE 37 S. 64; vgl. auch Zeihe, SGG, vor § 143 Rn. 7d). Im Übrigen hat der Gesetzgeber durch § 144 Abs. 4 geregelt, dass ein Rechtsmittel nicht zulässig ist, wenn es nur gegen die Kostenentscheidung eingelegt wird. Hiermit hat er gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass der Rechtsmittelführer in der Sache beschwert sein muss, was zu verneinen ist, wenn die Beschwer nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils aber vor Rechtsmitteleinlegung entfallen ist. Das Rechtsmittel ist dann mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig (str., hierzu Leitherer, SGG, vor § 143 Rn. 9a).
Rz. 16
Ein späterer Wegfall der Beschwer ist dann unschädlich, wenn der Rechtsmittelkläger seinen Antrag zwangsläufig und sachgerecht infolge Änderung des Beschwerdegegenstands einschränkt (BSG, Urteil v. 19.1.1978, 4 RJ 127/76, SozR 1500 § 146 Nr. 6; Urteil v. 28.2.1978, 4 RJ 73/77, SozR 1500 § 146 Nr. 7; vgl. auch Urteil v. 21.6.1995, 6 RKa 48/94, SozR 3-1500 § 131 Nr. 5; BSG, Urteil v. 15.11.1979, 7 RAr 33/78, SozR1500 § 149 Nr. 3; Zeihe, SGG, vor § 143 Rn. 7f). Etwas anderes gilt, wenn der Rechtsmittelkläger den Fortfall oder die Beschränkung der Beschwer aus freiem Willen herbeigeführt hat (BGH, Beschluss v. 8.10.1982, V ZB 9/82, NJW 1983 S. 1063; Leitherer, SGG, vor § 143 Rn. 10b; Zeihe, SGG, vor § 143 Rn. 7f).
Rz. 17
Unschädlich für die Zulässigkeit der Berufung ist, wenn ein Urteil zur Zeit seines Wirksamwerdens nach früherem Recht nur begrenzt anfechtbar war, durch zwischenzeitliche Rechtsänderungen aber uneingeschränkt anfechtbar geworden ist. Auch eine ursprünglich fehlende Beschwer kann durch eine Rechtsänderung vor Ablauf einer Berufungsfrist herbeigeführt werden und damit das Rechtsmittel zulässig machen (BSG, Urteil v. 9.3.1988, 9/9a RVs 13/87, SozR 3870 § 4 Nr. 2; OLG Hamm, Urteil v. 22.12.1977, 4 UF 81/77, NJW 1978 S. 277).