Rz. 2
Die Vorschrift regelt grundlegend und unabhängig von einem materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Erfordernis der Antragstellung für eine Sozialleistung, dass spezifische, hauptsächlich vom Bürger unabhängige verwaltungsökonomische Gegebenheiten, insbesondere das gegliederte Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland, dem Zugang zu Sozialleistungen nicht entgegenstehen. Dazu fängt die Vorschrift sich daraus ergebende Erschwernisse für Antragsteller auf Sozialleistungen auf.
Abs. 1 Satz 1 normiert den Grundsatz, dass Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Sozialleistungsträger zu stellen sind. Damit wird zunächst eine grundsätzliche Obliegenheit des Antragstellers formuliert. Die zuständigen Leistungsträger ergeben sich abschließend aus den §§ 18 bis 29. Damit wird zunächst bezweckt, eine Ordnungsregel aufzustellen, die einerseits darauf hinweist, dass Sozialleistungen grundsätzlich nicht von Amts wegen gewährt werden, andererseits im Sinne der Effizienz einer Massenverwaltung den Bürger dazu verpflichtet, sein Begehr beim zuständigen Leistungsträger vorzutragen. Damit stimmt überein, dass aufgrund der Zielsetzung des SGB I und der Umsetzung seiner Einweisungsvorschriften in der gesellschaftlichen Praxis eine Transparenz über die einzelnen Sozialleistungen und die zuständigen Leistungsträger vorausgesetzt wird, die es dem potenziellen Antragsteller im Zweifel leicht machen, den zuständigen Leistungsträger ausfindig zu machen. Verbleibende Zweifel werden durch die §§ 13 und 15 beseitigt. Durch eine sofortige Antragstellung beim zuständigen Leistungsträger wird auch die zügige Einleitung des Verwaltungsverfahrens und der Sozialrechtsbeziehung zum Leistungsträger ermöglicht bzw. begünstigt.
Abs. 1 Satz 2 stellt einen umfangreichen Ausnahmekatalog dar. Die Regelung bestimmt, dass auch jeder andere Leistungsträger, der Dienst-, Sach- oder Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch erbringt (vgl. § 12) Anträge auf Sozialleistungen entgegennimmt. Damit wird dem Bürger jedenfalls die mögliche Last genommen, aufgrund des gegliederten Sozialsystems mit seiner Antragstellung abgewiesen zu werden, weil er zwar bei einem Sozialleistungsträger, aber nicht dem zuständigen Sozialleistungsträger einen Antrag stellen will. Dabei ist insbesondere auch an den der Sache nach richtigen, aber örtlich bzw. räumlich nicht zuständigen Sozialleistungsträger zu denken. Darüber hinaus wird ein Antrag auf Sozialleistungen auch von allen Gemeinden entgegengenommen. Abs. 1 Satz 2 bedeutet damit eine erhebliche Abschwächung der noch in Abs. 1 Satz 1 streng formulierten Verpflichtung für den Antragsteller. Gemeinden erbringen ebenfalls Sozialleistungen, insbesondere im existenzsichernden Bereich, bei dieser Regelung geht es jedoch hauptsächlich darum, dass der Bürger sozusagen bei der örtlichen Verwaltung ("im Rathaus") seinen Antrag stellen kann. Damit werden alle Stellen und Einrichtungen erfasst, die für den Bürger als zuständiger Leistungsträger nahe liegen. Für potenzielle Antragsteller im Ausland regelt Satz 2 außerdem, dass die amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland, also insbesondere die Botschaften, Anträge dieses Personenkreises entgegennimmt. Auslandsaufenthalt in Abgrenzung zum gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz in Deutschland deutet insbesondere auf die Absicht, Besonderheiten des Einzelfalles gerecht zu werden, etwa einer Notlage von Urlaubern. Das deutsche Sozialrecht lässt aber auch in umfassender Weise zu, Sozialleistungen während eines dauerhaften Aufenthalts im Ausland entgegenzunehmen; in diesen Fällen erspart die Regelung den Zwang zu einer Rückkehr nach Deutschland, um z. B. einen notwendigen Folgeantrag zu stellen, weil die betreffende Sozialleistung nur abschnittsweise gewährt wird. Die passive Formulierung des Abs. 1 Satz 2 lässt im Übrigen auf den gesetzgeberischen Willen schließen, dass versehentlich beim unzuständigen Träger gestellte Anträge entgegengenommen werden sollen, die Vorschrift aber vermeiden will, dass ihr ein aktives Recht entnommen wird, Sozialleistungen überall beantragen zu können. Umgekehrt sind die gewählten Formulierungen eindeutig. Den benannten Stellen ist kein Ermessen darüber eingeräumt, einen unzuständig gestellten Antrag zurückzuweisen, er ist in jedem Fall entgegenzunehmen, im Übrigen auch dann, wenn er unvollständig sein sollte.
Abs. 2 regelt den Umgang mit und die Wirksamkeit von Anträgen, die bei einer unzuständigen Stelle – Leistungsträger oder Gemeinde – bzw. amtlichen Vertretung im Ausland nach Abs. 1 gestellt werden. Abs. 2 Satz 1 schreibt vor, dass die Anträge unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten sind. Damit wird bezweckt, dass keine nennenswerte Verzögerung der Antragsbearbeitung allein deshalb eintritt, weil der Antrag bei einer nicht zuständigen Stelle gestellt worden ist. Damit stimmt auch die in der Regelung enthaltene Verpflichtung des Leistungsträgers, der Gemeinde und der amtlichen Vertretung im Ausla...