2.1 Territorialitätsprinzip (Abs. 1)
Rz. 3
Die Anknüpfung der Geltung der Vorschriften des SGB an das Territorialitätsprinzip geht auf den völkerrechtlichen Grundsatz zurück, dass jeder Staat Rechtsetzungs- und Hoheitsgewalt nur auf seinem Territorium besitzt. Dieser räumliche Herrschaftsbereich ("Geltungsbereich") wird in der Vorschrift, das Gebiet der BRD nach der Wiedervereinigung umfassend, als gegeben unterstellt. Dies ist mit dem Begriff des Inlands (z. B. in § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) identisch. Für den Bereich der Sozialversicherung erstreckt sich der Geltungsbereich auch auf unter Bundesflagge fahrende Seeschiffe (vgl. §§ 11,13 SGB IV und Komm. dort).
Rz. 4
Die Bedeutung der Vorschrift liegt darin, dass die Geltung des Sozialrechts mit allen Rechten und auch Pflichten unabhängig von der Staatsbürgerschaft alle Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Inland erfasst (Wohnsitzgrundsatz). Aus dem Territorialitätsgrundsatz folgt allerdings nicht, dass Sozialleistungen nur im Inland zu erbringen sind. Die VO (EG) 883/2004 sieht stattdessen in Art. 7 ausdrücklich vor, dass Sozialleistungen in Geld auch an Personen zu leisten sind, die ihren Wohnsitz nicht in dem Mitgliedsstaat haben, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Regelungen zur Zahlung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ins Ausland finden sich in §§ 110 bis 114 SGB VI, die Zahlung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ins Ausland ist grundsätzlich nicht beschränkt (§ 97 Nr. 1 SGB VII). Lohnersatzleistungen wegen Arbeitslosigkeit setzen Verfügbarkeit voraus (vgl. dazu Art. 64 VO (EG) 883/2004).
Rz. 4a
Nach verfassungskonformer Auslegung des § 30 Abs. 1 steht der grenznahe Auslandswohnsitz dem Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer zuvor im Inland wohnhaft und beitragspflichtig war und die übrigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind (BVerfG, Beschluss v. 30.12.1999, 1 BvR 809/95). Diese Leistungspflicht besteht auch dann, wenn erst nach Entstehen des Leistungsanspruchs ein ausländischer Wohnsitz begründet wird (BSG, Urteil v. 7.10.2009, B 11 AL 25/08 R). Dies gilt aber nicht, wenn ein Leistungsanspruch aus dem koordinierenden europäischen Sozialrecht in einem anderen EU-Mitgliedstaat besteht (BSG, Urteil v. 12.12.2017, B 11 AL 21/16).
Rz. 5
Der Grundsatz der Geltung des SGB für alle Personen im Inland schließt jedoch nicht aus, dass nach § 37 vorgehende Vorschriften der besonderen Bücher des SGB für Leistungsansprüche zusätzliche materielle Rechtsvorschriften weitergehende Voraussetzungen verlangen (z. B. deutsche Staatsangehörigkeit) oder die Anwendung der Vorschriften auch auf im Ausland befindliche Personen erstreckt wird.
2.2 Vorbehalt abweichender Regelungen (Abs. 2)
Rz. 6
Der Grundsatz der Geltung der Vorschriften des SGB nach dem Territorialitätsprinzip lässt zu, dass über- oder zwischenstaatliches Recht davon Abweichungen beinhaltet, die unberührt bleiben, d. h. die Begrenzung der Regelung des § 30 nicht gilt. Für eine solche Ausweitung des Territorialitätsprinzips im Sinne der Erstreckung der Vorschriften des SGB auch auf ausländisches Staatsgebiet sind über- und zwischenstaatliche Regelungen aber nicht ersichtlich.
Rz. 7
Allenfalls wird personenbezogen und sachbezogen durch über- oder zwischenstaatliches Recht die wechselseitige Anerkennung von Sachverhalten im Ausland für Rechtsfolgen nach innerstaatlichen Vorschriften vereinbart, so dass sich daraus dann Kollisionsnormen, also den sachlichen Anwendungsbereich einer Rechtsvorschrift betreffende Regelungen ergeben.
Rz. 8
Nach über- oder zwischenstaatlichem Recht kann aber insbesondere auch ein Wohnsitz oder der ständige Aufenthalt im Inland entbehrlich sein, der ausländische Wohnsitz einem inländischen gleichgestellt (z. B. nach vormals Art. 9 EWG-Verordnung 1408/71) oder ein inländischer Wohnsitz rechtlich ausgeschlossen werden, wie dies z. B. das NATO-Truppenstatut (Art. 7 Zusatzabkommen) für das zivile Gefolge von Stationierungskräften vorsieht (BSG, Urteil v. 8.10.1981, 7 RAr 30/80). Nach Art. 33 des Wiener Übereinkommens (BGBl. II 1964 S. 958) gehören Angehörige fremder diplomatischer und konsularischer Vertretungen zu den Exterritorialen.
Rz. 9
Neben dem Vorbehalt für zwischen- und überstaatliches Recht besteht auch ein Vorbehalt für abweichende Regelungen nach den besonderen Teilen des SGB. Dieser Vorbehalt war ursprünglich in Abs. 2 enthalten, wurde jedoch durch Gesetz v. 4.11.1982 mit Wirkung zum 1.1.1983 gestrichen, da man ihn wegen der geänderten Fassung des § 37 für entbehrlich hielt (BT-Drs. 9/1753 S. 47).
Rz. 10
Der Vorbehalt abweichender Regelungen nach den besonderen Büchern gilt insbesondere für die Sozialversicherung, die, ungeachtet des Wohnsitzes, an die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Inland (Beschäftigungsort) anknüpft (§ 3 SGB IV), zugleich auch über die Grundsätze von Ein- und Ausstrahlung (§§ 4, 5 SGB IV) diesen Anknüpfungspunkt personenbezogen relativiert. In diesem Bereich bestehen durch die EWG-Verordnung z. B. Art. 11 VO (EG) 883/2004 und bilaterale...