Rz. 13
Mit der Definition des Wohnsitzes wird auf das Steuerrecht (§ 8 AO) zurückgegriffen, wonach einen Wohnsitz jemand dort hat, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die für das Steuerrecht aus § 9 AO für den gewöhnlichen Aufenthalt abgeleitete Zeitmoment auch für die Beibehaltung der Wohnung von 6 Monaten ist dabei aber nicht in die Vorschrift übernommen worden. Ob die Voraussetzungen vorliegen, ist aber im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise zu beurteilen (BSG, Urteil v. 23.2.1988, 10 RKg 17/87). Dabei ist – anders als im Zivilrecht – nicht entscheidend auf den rechtsgeschäftlichen Willen zur Begründung eines Wohnsitzes nach der Vorschrift des § 7 BGB abzustellen. Daher können auch Minderjährige einen eigenen Wohnsitz haben, wobei jedoch für die Frage der Beibehaltung des Wohnsitzes die Verfügungsbefugnis über die Wohnung zu prüfen ist. Auch die (polizei-/ordnungsrechtlichen) Meldevorschriften sind für den Wohnsitzbegriff nicht ausschlaggebend (so schon BSG, Urteil v. 17.12.1981, 10 RKg 12/81). Ein nur formaler Wohnsitz ist für den Wohnsitzbegriff des SGB nicht ausreichend.
Rz. 14
Maßgebend für das Bestehen eines Wohnsitzes sind die objektiv zu bestimmenden tatsächlichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, aus denen sich ein Lebensmittelpunkt an einem bestimmten Wohnsitz ableiten lässt. Dieses setzt zunächst einmal das Vorhandensein einer Wohnung voraus. Hierbei muss es sich um zum Wohnen geeignete und zugelassene Räumlichkeiten handeln, die für die ständige Nutzung zur Verfügung stehen. Auf die Angemessenheit und Wohnqualität kommt es nicht an. Es müssen jedoch Räumlichkeiten vorhanden sein, die die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen, in erster Linie eine Wasserversorgung und -entsorgung, eine Kochgelegenheit sowie eine Toilette (so Pitz, in: jurisPK-SGB I, § 30 Rz. 32, Stand: 13.8.2018; Spellbrink, in: KassKomm. SGB I, § 30 Rz. 10, Stand: 1.7.2020).
Rz. 15
Diese Wohnung muss darüber hinaus zur gegenwärtigen und künftigen Nutzung zur Verfügung stehen und genutzt werden können. Auch hierbei kommt es auf die Umstände insbesondere der tatsächlichen Verfügungsbefugnis über den Wohnraum an, nicht entscheidend ist hingegen die rechtliche Verfügungsbefugnis i. S. eines abstrakten Rechts auf den Besitz der Wohnung. Insoweit ist nicht allein entscheidend, dass die Wohnung gegenwärtig und in Zukunft wieder genutzt werden könnte, weil sonst ein Scheinwohnsitz (formaler Wohnsitz) begründet und aufrechterhalten werden könnte. Entscheidend ist, dass das Vorhandensein und die Beibehaltung der Verfügungs- oder Nutzungsbefugnis wegen der tatsächlichen regelmäßigen Nutzung als Wohnung und als Lebensmittelpunkt erfolgt, insoweit müssen ein reales Verhalten und ein realisierbarer Wille vorhanden sein, an diesem bestimmten Ort zu wohnen (BSG, Urteil v. 10.12.1985, 10 RKg 14/85). Obwohl es auf den Willen für die Wohnsitzbegründung und die Beibehaltung der Wohnung grundsätzlich nicht ankommt, sind hier jedoch subjektive Gesichtspunkte für die Absicht der auch noch künftigen Nutzung von Bedeutung. Art und Ausgestaltung der Wohnung können dabei als Indizien für die Absicht der auch künftigen regelmäßigen Benutzung herangezogen werden. Auch Räumlichkeiten, die an sich nur zur vorübergehenden Nutzung gedacht sind (Hotel- oder Pensionszimmer), können als Wohnung beibehalten werden, wenn die konkreten Räume zur persönlichen Nutzung freigehalten werden.
Rz. 16
Das Vorhandensein mehrerer Wohnsitze ist nicht ausgeschlossen, weil das Vorhandensein von 2 Wohnungen und deren tatsächlich wechselnde Nutzung möglich sind, solange beide Wohnungen zur Benutzung zur Verfügung stehen und gleichwertige Beziehungen zu den Wohnungen bestehen. In diesen Fällen wird man nach der Zweckrichtung der Anspruchsnorm zu beurteilen haben, ob ein Schwerpunkt der Wohnsitze (Hauptwohnsitz) zu ermitteln oder willensbezogen zu berücksichtigen ist.
Rz. 17
Feste zeitliche Grenzen für einen fehlenden oder wegfallenden inländischen Wohnsitz bei Auslandsaufenthalt bestehen nicht. In zeitlicher Hinsicht ist, bei Verfügungsbefugnis über die Wohnung und Rückkehrwillen, ein Zeitraum von bis zu 2 Jahren Auslandsaufenthalt von der Rechtsprechung noch als Beibehaltung des Wohnsitzes angenommen worden (BSG, Urteil v. 26.7.1979, 8b RKg 12/78). Bei einer Auslandsbeschäftigung für 5 Jahre ist dagegen, trotz Verfügungsbefugnis, aber Nutzung der Wohnung von der sonst auch im Ausland aufhältigen Familie nur während des Urlaubs, ein weiter bestehender inländischer Wohnsitz verneint worden (BSG, Urteil v. 28.2.1980, 8b RKg 6/79). Der BFH (Urteil v. 25.9.2014, III R 10/14) hat die Beibehaltung eines Inlandswohnsitzes im Hause der Eltern (Kinderzimmer) bei einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt zu Ausbildungszwecken und bei nur kurzen, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehung begründete Besuchen, die nicht die ausbildungsfreie Zeit umfassen, verneint.
Rz. 18
Der ...