2.1 Privatrechtliche Vereinbarung
Rz. 3
Die Vorschrift ist lediglich auf privatrechtliche Vereinbarungen anwendbar. Ob eine privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Vereinbarung vorliegt, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung. Entscheidend ist vor allem, ob der Vertragsgegenstand dem privaten oder öffentlichen Recht zugehört. Öffentlich-rechtliche Verträge (§§ 53 ff. SGB X), insbesondere so weit diese einen Verwaltungsakt ersetzen oder strittige Fragen durch Vergleichsvertrag regeln, sind nach den verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften zu beurteilen (BT-Drs. 7/868, S. 27).
Rz. 4
Ob eine privatrechtliche Vereinbarung vorliegt, bestimmt sich nach dem Gegenstand des Vertrags unter Heranziehung auch des Vertragszwecks (vgl. Komm. zu § 53 SGB X). Nicht erfasst werden lediglich einseitige Rechtsgeschäfte wie etwa der Verzicht nach § 46.
Rz. 5
Als privatrechtliche Vereinbarungen kommen nicht nur Einzelverträge, sondern auch kollektivrechtliche Vereinbarungen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen) in Betracht. Als privatrechtliche Vereinbarungen sind auch der gerichtliche oder außergerichtliche Vergleich in zivil- und arbeitsgerichtlichen Verfahren an der Vorschrift des § 32 zu messen (vgl. BSG, Urteil v. 25.10.1990, 12 RK 40/89). Ob eine solche Vereinbarung in der Form eines schriftlichen Vertrags getroffen wurde, ist für die Anwendung der Vorschrift nicht entscheidend. Ausreichend ist jede Form der zwei- oder mehrseitigen Verabredung, auch wenn diese stillschweigend getroffen wird.
Rz. 6
Die privatrechtliche Vereinbarung muss nicht unmittelbar und gezielt auf eine nachteilige Abweichung von den Vorschriften des SGB gerichtet sein. Ausreichend ist eine auch nur mittelbar eintretende nachteilige Rechtsfolge, wenn die Handhabung oder Vereinbarung, sofern sie für das Sozialrecht als verbindlich angesehen würde, die nachteiligen Folgen auslösen würde. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Beteiligten über die nachteiligen Wirkungen im Klaren sind, oder sogar gewollt die nachteilige Wirkung herbeiführen wollten; etwa um anderweitige Vorteile zu erlangen.
Rz. 7
Als an der Vereinbarung beteiligte Parteien kommen neben dem Sozialleistungsberechtigten nicht nur Arbeitgeber, sondern auch sonstige Dritte und insbesondere selbst andere Sozialleistungsträger in Betracht. Der potentiell Sozialleistungsberechtigte muss nicht selbst Vertragspartei sein (so auch Weselski/Öndül, in: jurisPK-SGB I, § 31 Rz. 14, Stand: 15.3.2018; Mrozynski, SGB I, 7. Aufl., § 32 Rz. 2).
2.2 Abweichung von Vorschriften des SGB
Rz. 8
Die privatrechtliche Vereinbarung muss unmittelbar oder mittelbar zur Abweichung von Vorschriften des SGB führen. "Abweichen" meint dabei eine Veränderung der Rechtsposition des Sozialleistungsberechtigten in der Form, dass die Vorschriften des SGB daran andere Rechtsfolgen knüpfen. Dabei kann es sich um Abweichungen von Bestimmungen dieses Buches, aber auch von solchen der besonderen Bücher des SGB (§ 68) oder von Rechtsverordnungen handeln, deren Ermächtigungsgrundlage sich im SGB befindet.
Rz. 8a
Die Nichtigkeit von Vereinbarungen ist bezogen auf die Rechtsposition des Sozialleistungsberechtigten zu beurteilen. Nicht erforderlich ist dabei, dass sich die Vereinbarung bereits unmittelbar auf dessen entstandene Rechte auswirkt, sodass bereits der Verlust oder die Beeinträchtigung eines Antragsrechts oder einer Anwartschaft als nachteilige Folge anzusehen ist.
Rz. 9
Die sozialrechtlichen Vorschriften knüpfen zumeist an objektive Tatbestände an und regeln die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten, womit die Vorschriften selbst privatrechtlichen Vereinbarungen grundsätzlich entzogen sind. Die Vorschrift lässt darüber hinaus aber auch keine privatrechtliche Vereinbarung zu, in der anknüpfend an diese gesetzlichen Rechtsfolgen als Gegenstand eines Vertrags Vereinbarungen getroffen werden, die im Ergebnis die gesetzlichen Rechte einschränken oder rückgängig machen oder weitergehende Verpflichtungen vorsehen.
Rz. 10
So sind im Beitragsrecht alle Vereinbarungen unwirksam, die auf eine von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Verteilung der Sozialversicherungsbeiträge zulasten des Beschäftigten hinauslaufen. Unwirksam sind insbesondere Absprachen, nach denen der Arbeitnehmer oder sonst Versicherte auch den Arbeitgeberanteil abweichend von § 249 SGB V, § 168 SGB VI durch entsprechend höheren Lohnabzug oder Erstattungspflicht zu tragen hat. Desgleichen kann der Arbeitgeber sich nicht durch eine Vertragsstrafenvereinbarung in Höhe der Arbeitgeberanteile bei Versicherungspflicht infolge mehrfacher geringfügiger Beschäftigung von seiner Beitragslast befreien (BAG, Urteil v. 18.11.1988, 8 AZR 12/86). Auch die Zahlung oder Höhe des Beitragszuschusses für einen versicherungsfreien Angestellten (§ 257 SGB V) kann durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen oder vermindert werden (BSG, Urteil v. 8.10.1998, B 12 KR 19/97 R). Die pauschalen Beiträge des Arbeitgebers (§ 249b SGB V, § 168 Abs. 1 Nr. 1b SGB VI) für geringfügig Beschäftigte können diesem nicht rückbelastet werden,...