0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem SGB I durch das Gesetz v. 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015) mit Wirkung zum 1.1.1976 in Kraft getreten und seither nicht geändert worden.
1 Allgemeines
Rz. 1a
Die Vorschrift greift einen zuvor in § 139 RVO enthaltenen Grundsatz auf und weitet diesen auf das gesamte SGB einschließlich der als besondere Teile des SGB geltenden Gesetze (§ 68) aus. Sie gehört zu den Vorschriften, die gemäß § 37 auch anderen und abweichenden Regelungen vorginge. Sie findet nach § 36a Satz 2 KSVG auch auf die Rechtsbeziehungen zwischen den zur Abgabe Verpflichteten und den Versicherten und Zuschussberechtigten entsprechende Anwendung.
Rz. 1b
Die Regelung geht über § 134 BGB hinaus, indem sie jede nachteilige Abweichung von den öffentlich-rechtlichen Regelungen nicht ausdrücklich verbietet, sondern für nichtig erklärt, unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um ein gesetzliches Verbot handelt (BT-Drs. 7/868 S. 27). Die Regelung hat Schutzfunktion für die dem Sozialleistungsberechtigten zustehenden Ansprüche und die sich aus dem SGB ergebenden Pflichten, die nicht ausgeweitet werden dürfen. Verstoßen privatrechtliche Vereinbarungen gegen ein gesetzliches Verbot, hat § 32 im Hinblick auf den dann eingreifenden § 134 BGB lediglich klarstellenden Charakter. Daneben bleibt auch § 134 BGB noch anwendbar. Bei Abweichungen von Vorschriften des SGB zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten durch privatrechtliche Vereinbarungen, die aber nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, ergänzt die Vorschrift die Regelung des § 134 BGB.
Rz. 2
Die Vorschrift wird durch die Sonderregelung des § 46 über den Verzicht auf Sozialleistungsansprüche als einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung ergänzt, wonach der Verzicht zum Nachteil eines Dritten allerdings nach § 46 Abs. 2 unwirksam ist.
2 Rechtspraxis
2.1 Privatrechtliche Vereinbarung
Rz. 3
Die Vorschrift ist lediglich auf privatrechtliche Vereinbarungen anwendbar. Ob eine privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Vereinbarung vorliegt, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung. Entscheidend ist vor allem, ob der Vertragsgegenstand dem privaten oder öffentlichen Recht zugehört. Öffentlich-rechtliche Verträge (§§ 53 ff. SGB X), insbesondere so weit diese einen Verwaltungsakt ersetzen oder strittige Fragen durch Vergleichsvertrag regeln, sind nach den verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften zu beurteilen (BT-Drs. 7/868, S. 27).
Rz. 4
Ob eine privatrechtliche Vereinbarung vorliegt, bestimmt sich nach dem Gegenstand des Vertrags unter Heranziehung auch des Vertragszwecks (vgl. Komm. zu § 53 SGB X). Nicht erfasst werden lediglich einseitige Rechtsgeschäfte wie etwa der Verzicht nach § 46.
Rz. 5
Als privatrechtliche Vereinbarungen kommen nicht nur Einzelverträge, sondern auch kollektivrechtliche Vereinbarungen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen) in Betracht. Als privatrechtliche Vereinbarungen sind auch der gerichtliche oder außergerichtliche Vergleich in zivil- und arbeitsgerichtlichen Verfahren an der Vorschrift des § 32 zu messen (vgl. BSG, Urteil v. 25.10.1990, 12 RK 40/89). Ob eine solche Vereinbarung in der Form eines schriftlichen Vertrags getroffen wurde, ist für die Anwendung der Vorschrift nicht entscheidend. Ausreichend ist jede Form der zwei- oder mehrseitigen Verabredung, auch wenn diese stillschweigend getroffen wird.
Rz. 6
Die privatrechtliche Vereinbarung muss nicht unmittelbar und gezielt auf eine nachteilige Abweichung von den Vorschriften des SGB gerichtet sein. Ausreichend ist eine auch nur mittelbar eintretende nachteilige Rechtsfolge, wenn die Handhabung oder Vereinbarung, sofern sie für das Sozialrecht als verbindlich angesehen würde, die nachteiligen Folgen auslösen würde. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Beteiligten über die nachteiligen Wirkungen im Klaren sind, oder sogar gewollt die nachteilige Wirkung herbeiführen wollten; etwa um anderweitige Vorteile zu erlangen.
Rz. 7
Als an der Vereinbarung beteiligte Parteien kommen neben dem Sozialleistungsberechtigten nicht nur Arbeitgeber, sondern auch sonstige Dritte und insbesondere selbst andere Sozialleistungsträger in Betracht. Der potentiell Sozialleistungsberechtigte muss nicht selbst Vertragspartei sein (so auch Weselski/Öndül, in: jurisPK-SGB I, § 31 Rz. 14, Stand: 15.3.2018; Mrozynski, SGB I, 7. Aufl., § 32 Rz. 2).
2.2 Abweichung von Vorschriften des SGB
Rz. 8
Die privatrechtliche Vereinbarung muss unmittelbar oder mittelbar zur Abweichung von Vorschriften des SGB führen. "Abweichen" meint dabei eine Veränderung der Rechtsposition des Sozialleistungsberechtigten in der Form, dass die Vorschriften des SGB daran andere Rechtsfolgen knüpfen. Dabei kann es sich um Abweichungen von Bestimmungen dieses Buches, aber auch von solchen der besonderen Bücher des SGB (§ 68) oder von Rechtsverordnungen handeln, deren Ermächtigungsgrundlage sich im SGB befindet.
Rz. 8a
Die Nichtigkeit von Vereinbarungen ist bezogen auf die Rechtsposition des Sozialleistungsberechtigten zu beurteilen. Nicht erforderlich ist dabei, dass sich die Vereinbarung bereits unmittelbar auf dessen ent...