Rz. 8
Die privatrechtliche Vereinbarung muss unmittelbar oder mittelbar zur Abweichung von Vorschriften des SGB führen. "Abweichen" meint dabei eine Veränderung der Rechtsposition des Sozialleistungsberechtigten in der Form, dass die Vorschriften des SGB daran andere Rechtsfolgen knüpfen. Dabei kann es sich um Abweichungen von Bestimmungen dieses Buches, aber auch von solchen der besonderen Bücher des SGB (§ 68) oder von Rechtsverordnungen handeln, deren Ermächtigungsgrundlage sich im SGB befindet.
Rz. 8a
Die Nichtigkeit von Vereinbarungen ist bezogen auf die Rechtsposition des Sozialleistungsberechtigten zu beurteilen. Nicht erforderlich ist dabei, dass sich die Vereinbarung bereits unmittelbar auf dessen entstandene Rechte auswirkt, sodass bereits der Verlust oder die Beeinträchtigung eines Antragsrechts oder einer Anwartschaft als nachteilige Folge anzusehen ist.
Rz. 9
Die sozialrechtlichen Vorschriften knüpfen zumeist an objektive Tatbestände an und regeln die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten, womit die Vorschriften selbst privatrechtlichen Vereinbarungen grundsätzlich entzogen sind. Die Vorschrift lässt darüber hinaus aber auch keine privatrechtliche Vereinbarung zu, in der anknüpfend an diese gesetzlichen Rechtsfolgen als Gegenstand eines Vertrags Vereinbarungen getroffen werden, die im Ergebnis die gesetzlichen Rechte einschränken oder rückgängig machen oder weitergehende Verpflichtungen vorsehen.
Rz. 10
So sind im Beitragsrecht alle Vereinbarungen unwirksam, die auf eine von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Verteilung der Sozialversicherungsbeiträge zulasten des Beschäftigten hinauslaufen. Unwirksam sind insbesondere Absprachen, nach denen der Arbeitnehmer oder sonst Versicherte auch den Arbeitgeberanteil abweichend von § 249 SGB V, § 168 SGB VI durch entsprechend höheren Lohnabzug oder Erstattungspflicht zu tragen hat. Desgleichen kann der Arbeitgeber sich nicht durch eine Vertragsstrafenvereinbarung in Höhe der Arbeitgeberanteile bei Versicherungspflicht infolge mehrfacher geringfügiger Beschäftigung von seiner Beitragslast befreien (BAG, Urteil v. 18.11.1988, 8 AZR 12/86). Auch die Zahlung oder Höhe des Beitragszuschusses für einen versicherungsfreien Angestellten (§ 257 SGB V) kann durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen oder vermindert werden (BSG, Urteil v. 8.10.1998, B 12 KR 19/97 R). Die pauschalen Beiträge des Arbeitgebers (§ 249b SGB V, § 168 Abs. 1 Nr. 1b SGB VI) für geringfügig Beschäftigte können diesem nicht rückbelastet werden, auch wenn dies für die pauschale Lohnsteuer für zulässig gehalten wurde. Die Frage der Zulässigkeit der Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, eine bestimmte Krankenkasse mit einem günstigen Beitragssatz zu wählen (vgl. §§ 173 ff. SGB V; Eichenhofer, RdA 2006, 203), hat mit der Vereinheitlichung des Beitragssatzes (vgl. § 241 SGB V) zwar seine unmittelbare wirtschaftliche Bedeutung für die Beitragshöhe verloren; es kann jedoch für Arbeitgeber ein Interesse an der Wahl einer bestimmten Krankenkasse bestehen, weil diese beim Beitragseinzug weniger streng verfährt, wogegen der Arbeitnehmer ein Interesse daran haben kann, eine andere Krankenkasse z. B. wegen satzungsmäßiger Leistungen und/oder Erreichbarkeit zu wählen. Da die Wahl einer Krankenkasse das Recht des Krankenversicherten ist, sind Vereinbarungen über die Wahl einer bestimmten Krankenkasse als nichtig anzusehen.
Rz. 11
Im Leistungsrecht oder bei Teilhaberrechten sind alle Vereinbarungen unwirksam, die unmittelbar die Geltendmachung von Sozialleistungen untersagen oder erschweren (z. B. Verpflichtung zum Unterlassen von Anträgen auf Sozialleistungen oder Information über an sich meldepflichtige Tatbestände), die Wahrnehmung von Rechten zur Mitwirkung bei der Selbstverwaltung verhindern sollen oder mit denen auf ein bestimmtes Wahlverhalten hingewirkt wird. Die Unwirksamkeit umfasst nicht nur diese Vereinbarung selbst, sondern auch die für den Fall des Verstoßes vereinbarte Sanktion in Form einer Gegenforderung, eines Schadensersatzes oder einer Vertragsstrafe. Insbesondere ist die Verpflichtung zum Unterlassen der Geltendmachung von Leistungsansprüchen, z. B. Arbeitslosengeld (BSG, Urteil v. 24.3.1988, 5/5b RJ 84/86) oder Krankengeld, wegen drohender Rückgriffsansprüche (§ 128 AFG a. F., § 115 SGB X) unwirksam. Auch ein Verzicht auf gesetzliche Entgeltfortzahlungsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber ist nach § 32 unwirksam und kann der Krankenkasse bei einem Regress nach § 115 SGB X nicht entgegengehalten werden.
Rz. 12
Als typische Fälle unwirksamer privatrechtlicher Vereinbarungen sind neben Schwarzarbeitsabreden Aussagen in Verträgen über Sozialversicherungspflicht oder Versicherungsschutz oder Beitragszahlung anzusehen. Da den Arbeitsvertragsparteien schon keine Dispositionsbefugnis über Versicherungspflichten zusteht, sind solche Vereinbarungen lediglich hinsichtlich der Vereinbarung von Rechtsfolgen nach § 32 als nachteilige Abweichungen zu beurteilen.
Rz. 13
Nicht nach § 32