2.1 Regelungsinhalt (Abs. 1)
2.1.1 Ausgangspunkt: Familienrechtliches Rechtsverhältnis
Rz. 3
Im Ausgangspunkt gilt die Vorschrift für alle Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch, nicht nur für den Sozialleistungsbereich. Diese Rechte und Pflichten müssen ein familienrechtliches Rechtsverhältnis voraussetzen. Damit gemeint sind im Wesentlichen die im Vierten Buch des BGB genannten Rechtsverhältnisse und Rechtsinstitute (Weselski/Öndül, in: juris-PK SGB I, § 34 Rz. 16, Stand: 15.3.2018). Im SGB und den nach § 68 als besondere Bücher des SGB geltenden Gesetzen knüpfen eine Reihe von Vorschriften an familienrechtliche Beziehungen oder Begriffe (Ehegatte, Kind, Annahme als Kind, Adoptionskinder, Scheidung etc.) oder daraus resultierende Ansprüche (Familienunterhalt, Unterhaltsanspruch etc.) an und machen diese zur Voraussetzung von Rechten und Pflichten.
Rz. 4
Soweit das SGB solche familienrechtlichen Begriffe verwendet und keine eigenständigen materiell-rechtlichen Definitionen enthält, wird dem Grunde nach von den Rechtsbegriffen i. S. d. BGB ausgegangen. Dabei werden den Regelungen stillschweigend auch das Verständnis der nach deutschem Familienrecht möglichen Rechtsbeziehungen zugrunde gelegt und zumeist überhaupt auch nur Regelungen für danach typische und mögliche Fallgestaltungen getroffen.
Rz. 5
Die familienrechtlichen Begriffe knüpfen zumeist an natürliche Verhältnisse (i. S. v. Tatsachen) an. Die Begriffe selbst sind jedoch auch (zumeist zivilrechtlich) bestimmt, sodass auch insbesondere das Familienrecht die Begriffe bestimmt. Dies kann z. B. bei Leihmutterschaft oder Minderjährigen-Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare Probleme aufwerfen (vgl. dazu Mrozynski, SGB I, 7. Aufl., § 34 Rz. 7; Eichenhofer, SGb 2016, 184). Vgl. auch Sanders, NJW 2017, 925, zur Frage des Vorliegens einer Familie nach europäischem Menschenrecht.
Rz. 6
Nicht an familienrechtliche Beziehungen wird angeknüpft, wenn in einer Vorschrift lediglich an familienähnliche Verhältnisse (nichteheliche Lebensgemeinschaft, Bedarfsgemeinschaft etc.) angeknüpft wird; denn diese werden durch die tatsächlichen Verhältnisse bestimmt.
2.1.2 Anknüpfungspunkt: Ausländisches Recht
Rz. 7
Von den Vorschriften des SGB (vgl. § 30 Abs. 1) und insbesondere auch hinsichtlich der sozialen Rechte nach §§ 18 bis 29 und den damit in Bezug genommenen Gesetzen werden auch Personen erfasst, deren familienrechtliche Beziehungen sich nicht nach dem deutschen Recht bestimmen, sondern gemäß internationalem Privatrecht (Art. 3 EGBGB) nach dem Recht eines anderen Staates richten (Art. 13 ff. EGBGB). Soweit es für Rechte und Pflichten nach dem SGB auf familienrechtliche Beziehungen ankommt, sind daher grundsätzlich auch die Rechtsbegriffe und Rechte zugrunde zu legen, die durch das Recht des anderen Staates bestimmt werden.
Rz. 8
Für die Anwendung des § 34 ist daher die Feststellung erforderlich, dass für die familienrechtlichen Beziehungen ausländisches Familienrecht anzuwenden und zugrunde zu legen ist und keine vorrangigen zwischenstaatlichen Vereinbarungen (Art. 3 Abs. 2 EGBGB) bestehen (2. Prüfungsschritt).
2.1.3 Einschränkung: Inländischem Recht vergleichbar
Rz. 9
An die sich nach ausländischem Recht richtenden familienrechtlichen Beziehungen ist zwar grundsätzlich anzuknüpfen, für die Anwendung und Übertragung auf die Vorschriften des SGB ist aber zusätzliche Voraussetzung, dass dieses Rechtsverhältnis einem deutschen Rechtsverhältnis entspricht (3. Prüfungsschritt). Die Vorschrift bezweckt daher die Begrenzung sozialrechtlicher Ansprüche trotz Anwendung und Zugrundelegung internationalen Privatrechts und deren inländischer Anerkennung.
Rz. 10
Die Vergleichbarkeit muss sich nicht nur auf das ausländische familienrechtliche Rechtsverhältnis beziehen, sondern dies muss auch (zusätzlich) dem sozialrechtlichen vergleichbar sein (BT-Drs. 10/5632 S. 32). Dabei ist auf den Zweck der Anknüpfung von i. d. R. Leistungsansprüchen an das familienrechtliche Verhältnis abzustellen (so auch Weselski/Öndül, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 34 Rz. 21, Stand: 15.3.2018; Eichenhofer, in: Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, SGB I, § 34 Rz. 4).
Rz. 11
Die polygame Ehe (Mehrehe) ist nach deutschem Recht ausgeschlossen (§ 1306 BGB) und daher nicht mit der deutschen Ehe vergleichbar. Dies wird teilweise anders gesehen, mit der Begründung, Abs. 2 setze die Anerkennung der polygamen Ehe dem Grunde nach voraus. Wenn trotz der bekannten Problematik der Mehrehe in anderen Rechtsgebieten keine Regelung getroffen worden sei, welche klar bestimme, welche von mehreren Ehefrauen dann als solche nach dem SGB anzusehen sei, dann spreche dies jedenfalls dafür, dass auch jede der Ehefrauen als solche zu behandeln sei (Eichenhofer, in: Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, SGB I, § 34 Rz. 8; Prodan, in: v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB I, 3. Aufl., § 33 Rz. 12: kein Verstoß gegen inländischen ordre public). Die Regelung des Abs. 2 beschränkt sich ihrem Wortlaut nach aber ausdrücklich nur auf das Recht der Hinterbliebenenrenten. Es dürfte daher überzeugender sein, die polygame Ehe nicht auch für andere Rechtsbereiche (z. B. in der Krankenversicherung für die Familienversicherung, im...