0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die durch das Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes v. 10.12.2014 (BGBl. I S. 2187) mit Wirkung zum 1.3.2015 neu eingefügte und bis zum 23.10.2015 geltende Fassung enthielt eine Sonderregelung zu der Fortschreibung der Leistungen nach § 3 für das Jahr 2015.
Durch Art. 2 Nr. 12 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes v. 20.10.2015 (BGBl. I S. 1722) wurde die Vorschrift mit Wirkung zum 24.10.2015 komplett neu gefasst. Die Neufassung sieht seitdem die zeitliche Befristung für Anspruchseinschränkungen nach dem AsylbLG vor.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift normiert die zeitliche Begrenzung von Anspruchseinschränkungen nach dem AsylbLG. Die Gesetzesbegründung verweist auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BT-Drs. 18/6185 S. 48). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete es, dass ein nicht mehr änderbares, zurückliegendes Fehlverhalten oder sogar ein bereits korrigiertes Fehlverhalten in einer Sanktion nicht unbegrenzt fortwirkt. Die Anspruchseinschränkung sei daher nach Abs. 2 nur bei einer Fortsetzung des pflichtwidrigen Verhaltens aufrechtzuerhalten.
2 Rechtspraxis
2.1 Befristung auf 6 Monate
Rz. 3
Abs. 1 sieht für alle "Anspruchseinschränkungen nach diesem Gesetz" eine Befristung auf 6 Monate (also nicht etwa bis zu 6 Monate) vor. Damit dürfte in erster Linie die in § 1a Abs. 1 normierte Anspruchseinschränkung erfasst sein, aber auch die Sanktionen in den auf § 1a Abs. 1 verweisenden §§ 5 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2, 5b Abs. 2 Satz 1, 11 Abs. 2a Satz 19. Der Gesetzgeber wollte damit wohl verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung tragen, die sich gegen die zuvor zeitlich unbefristeten Anspruchseinschränkungen richteten. Doch auch die starre Befristung auf 6 Monate begegnet solchen Bedenken. Allerdings mögen sich diese Bedenken durch eine verfassungskonforme Auslegung zerstreuen, wonach dann eine kürzere Frist im Einzelfall zugrunde zu legen ist, wenn das zu der Sanktion führende Fehlverhalten des Leistungsempfängers als minder schwer anzusehen ist, oder bereits innerhalb kürzerer Frist von ihm korrigiert wurde (so auch Oppermann, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 14 Rz. 17 mit Hinweis auf BVerfG, Urteil v. 5.11.2019, 1 BvL 7/16). Über die Anspruchseinschränkung ist dem Leistungsberechtigten ein Bescheid zu erteilen.
Rz. 4
Abs. 1 und infolge dessen Abs. 2 sind nicht anzuwenden auf Leistungskürzungen, die nicht auf Pflichtverletzungen der betreffenden Leistungsempfänger beruhen und die alle Leistungsempfänger treffen. Dazu gehört die Absenkung des Barbetrages für einen Alleinstehenden nach § 3 Abs. 1 Satz 8 i. d. F. des Asylpakets II, die Absenkung der Aufwandsentschädigung auf 0,80 EUR durch das Integrationsgesetz und die Leistungsabsenkung innerhalb der 18-monatigen Wartezeit nach § 2 Abs. 1 (Oppermann, a. a. O., Rz. 12 f.).
2.2 Fortbestehende Pflichtverletzung
Rz. 5
Gemäß Abs. 2 ist die Anspruchseinschränkung nach Ablauf von 6 Monaten fortzusetzen, wenn deren gesetzliche Voraussetzungen weiter vorliegen. Das setzt eine von Amts wegen durchzuführende Prüfung voraus. Nach der Gesetzesbegründung bedarf es nach Ablauf des Zeitraums von 6 Monaten der Überprüfung, ob die Anspruchseinschränkung aufrechterhalten werden kann. Daher fordert Abs. 2 im Anschluss eine neue Prüfung der Behörde, ob die Pflichtverletzung andauert und die Voraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt werden (BT-Drs. 18/6185 S. 47). Lediglich wiederholende Mitteilungen der Behörde erfüllen nicht die Anforderungen an eine erneute Sach- und Rechtsprüfung (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 13.7.2021, L 7 AY 1929/21 ER B mit Hinweis auf Oppermann, a. a. O., Rz. 18, jetzt Rz. 22 f.; Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 14 Rz. 7).
Rz. 6
Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten problematisch ist die Frage, ob eine rechtsmissbräuchliche Einreise als Grund für die Leistungseinschränkung gemäß § 1a Abs. 1 auch nach Ablauf von 6 Monaten fortdauert und ggf. wie lange dies zur Leistungseinschränkung führen darf, wenn sich der Leistungsberechtigte über viele Jahre hinweg im Bundesgebiet aufhält. Die Beurteilung ist in Rechtsprechung und Literatur heillos umstritten (Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 14 Rz. 10 m. w. N.).
Rz. 7
Zu den verfahrensrechtlichen Besonderheiten bei einer Fortsetzung der Sanktion sowie Einleitung eines neuen Verwaltungsverfahrens mit Anhörung, Aufforderung zur konkreten Mitwirkung und ggf. auch direkte Kontaktaufnahme zu dem Antragsteller vgl. LSG Bayern, Beschluss v. 21.12.2016, L 8 AY 31/16 B ER. Ausdrücklich offen gelassen wird die Frage, ob der verfassungsrechtlich vorgegebene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unbefristete Kettenanspruchseinschränkungen ausschließt (LSG Bayern, a. a. O.). Ein nicht mehr abänderbares Fehlverhalten kann jedenfalls nicht unbegrenzt fortwirken. Voigt (info also 2016, 105) geht davon aus, dass § 14 generell nur für 6 Monate eine Kürzung ohne Verlängerungsmöglichkeit erlaubt, wenn ein Sanktionstatbestand nicht von einem aktuell zu beeinflussenden Ver...