Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Einreise zum Zweck des Leistungsbezuges. Dauer der Anspruchseinschränkung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darf ein nicht mehr abänderbares, zurückliegendes Fehlverhalten oder sogar ein bereits korrigiertes Fehlverhalten nicht unbegrenzt in einer Sanktion fortwirken. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit etwa im Fall des § 1a Abs 1 AsylbLG lediglich eine einmalige Leistungseinschränkung von sechs Monaten möglich wäre. Jedenfalls Leistungseinschränkungen, die sich an der Wartezeit von 15 Monaten nach § 2 Abs 1 AsylbLG orientieren, erscheinen deshalb zulässig.
2. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 1a Abs 1 AsylbLG.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juli 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M S, E Straße, B, bewilligt.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juli 2018, mit dem es das Sozialgericht abgelehnt hat, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ungekürzte Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren, ist zulässig aber unbegründet.
Der Senat weist die Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG - von einer weiteren Begründung ab.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass hinsichtlich der nach erfolglosen Asylanträgen in den Jahren 2000, 2003 und 2005 zuletzt am 9. Juli 2017 erneut eingereisten Antragsteller die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 AsylbLG gegeben sind. Für die chronisch nierenkranke und dauerhaft dialysebedürftige Antragstellerin zu 1) war die - durch Leistungen des AsylbLG finanzierte - Fortsetzung ihrer bereits in ihrer Heimat begonnenen Dialysebehandlung letztlich alleiniger Grund der - erneuten - Einreise.
Das Sozialgericht hat ebenfalls zutreffend entschieden, dass § 14 AsylbLG der Leistungskürzung nicht entgegensteht. Zwar wird vertreten, dass § 14 Abs. 2 AsylbLG keine „befristeten Kettenanspruchseinschränkungen“ erlaube (jurisPK-SGB XII/Oppermann Rn. 14), wobei dem Senat nicht recht klar ist, wann eine solche vorliegt, da Abs. 2 gerade eine Fortsetzung der Anspruchseinschränkung und nicht deren Beschränkung regelt. Ohne Zweifel muss spätestens nach Ablauf der sechs Monate die Behörde in eine neue Prüfung eintreten, ob die Pflichtverletzung nach § 1a AsylbLG weiterhin besteht oder nicht. Vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darf ein nicht mehr abänderbares, zurückliegendes Fehlverhalten oder sogar ein bereits korrigiertes Fehlverhalten nicht unbegrenzt in einer Sanktion fortwirken (BT-Drs. 18/6185, 48). Dies bedeutet, wie Wahrendorf (in Grube/Wahrendorf AsylbLG § 14 Rn. 8) zutreffend andeutet, jedoch nicht, dass damit etwa im Fall des § 1a Abs. 1 AsylbLG lediglich eine einmalige Leistungseinschränkung von 6 Monaten möglich wäre. Jedenfalls Leistungseinschränkungen, die sich an der Wartezeit von § 2 Abs. 1 AsylbLG von 15 Monaten orientieren (vgl. Deibel, ZFSH/SGB 2015, 117, 126; Hohm in: Schellhorn/Hohm/Schneider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylbLG Rn. 48; a.A. jurisPK-SGB XII/Oppermann Rn. 13) erscheinen deshalb zulässig. Vorliegend erhalten die Antragsteller abgesenkte Leistungen seit dem 25. Juli 2017 weshalb die vorliegend angeordnete - abgesenkte - Bewilligungsentscheidung für die Zeit vom 19. April 2018 bis 16. Oktober 2018 sich noch in diesem Rahmen hält.
Schließlich hat das Sozialgericht weiterhin zutreffend entschieden, dass die Anwendung des § 1a AsylbLG im vorliegenden Fall nicht im Hinblick auf Art. 1 i.V.m. Art. 20 Grundgesetz (GG) ausgeschlossen ist.
Der Senat hat bereits zur Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F entschieden (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.07.2013 - L 23 AY 10/13 B ER), dass diese nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Es ist auch keine dahingehende verfassungskonforme Auslegung erforderlich, wonach Leistungsberechtigten selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Absenkung der Leistungen das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum erhalten bleiben müsse und sich dieses entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2012 formulierten Übergangsregelungen berechnet (anderer Auffassung: LSG Berlin-Brandenburg, 15. Senat, Beschluss vom 06. Februar 2013, L 15 AY 2/13 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. April 2013 - L 20 AY 153/12 B ER; wie hier: Thüringisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Januar 2013, L 8 AY 1801/12 B ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. März 2013, L 8 ...