Rz. 15
Abs. 4 sieht Leistungseinschränkungen für die von den sog. Relokationsbeschlüssen des Rates der Europäischen Union aus dem September 2015 betroffenen Ausländer vor; betroffen sind zunächst Drittstaatsangehörige und Staatenlose (vgl. Oppermann, jurisPR-SozR 8/2016 Anm. 1). Oppermann (a. a. O.) wirft zu Recht die Frage auf, an welches konkrete Fehlverhalten diese Sanktionsnorm anknüpfen soll und sieht in den Gesetzesmaterialien Hinweise darauf, dass die Norm an die bloße Zugehörigkeit zu dem Personenkreis der "relocated people" (Relocations = Umsiedelungen) anzuknüpfen scheint, was im Verhältnis zu den anderen Sanktionstatbeständen einen deutlich anderen Ansatz darstellt, denn diese knüpfen regelmäßig an ein vorwerfbares Fehlverhalten an. Trotz der im Schrifttum geäußerten Bedenken hat der Gesetzgeber den von Abs. 4 betroffenen Personenkreis mit der Schaffung des § 1a Abs. 4 Satz 2 mit dem Integrationsgesetz v. 31.7.2016 (BGBl. I S. 1939) noch ausgeweitet. Das LSG Berlin-Brandenburg sah Abs. 4 vor Erlass des Integrationsgesetzes nicht als anwendbar an für Personen, die aus einem anderen EU-Land einreisen, für die aber nicht nach dem Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates der EU v. 14.9.2015 sowie Beschluss 2015/0209 (NLE) v. 22.9.2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien oder Griechenland eine von der Regelzuständigkeit abweichende Zuständigkeit festgelegt wurde (Beschluss v. 28.4.2016, L 15 AY 16/16 B ER PKH).
Rz. 16
Insgesamt knüpft Abs. 4 an eine andere Zuständigkeit für die Leistungsberechtigten als die Zuständigkeit Deutschlands an, wobei insoweit die Abweichung von der Regelzuständigkeit i. S. d. Dublin III-Verordnung bedeutsam ist. Bei der Dublin III-Verordnung handelt es sich um die zum 1.1.2014 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 26.6.2013 (VO-EU-604/2013) zur Festlegung der Kriterien und des Verfahrens zur Bestimmung des Staates, der für die Prüfung eines von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Oppermann, jurisPR-SozR 8/2016 Anm. 1; vgl. zu dieser Verordnung auch BVerwG, Urteil v. 17.9.2016, 1 C 26/14). Die in der Dublin III-Verordnung angesprochene Regelzuständigkeit bedeutet, dass die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen im Hoheitsgebiet durch den EU-Mitgliedstaat geprüft wird, in dem der Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes erstmals gestellt wurde, wobei dies auch dann gelten soll, wenn der Antrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens gestellt wurde (Oppermann, a. a. O., unter Hinweis auf Art. 1, 7, 15 Verordnung (EU) Nr. 604/2013). Hintergrund ist der Schutz der Staaten Italien und Griechenland, die von den Migrationsbewegungen zunächst in erster Linie betroffen sind und zu deren Entlastung die EU Umsiedelungen (Relocations) zugestimmt hat (Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates der EU v. 14.9.2015 sowie Beschluss –(EU) 2015/2009 (NLE) v. 22.9.2015). Unter die hiernach getroffenen sog. Quotenregelungen fallen 160.000 Personen, die von Italien und Griechenland vorläufig und vorübergehend in andere Mitgliedsstaaten bzw. in Drittstaaten umgesiedelt werden (Oppermann, jurisPR-SozR 8/2016 Anm. 1). Diese Personen sollen, soweit sie sich in Deutschland tatsächlich aufhalten und zu dem in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 genannten Personenkreis gehören, die nur die auf das physische Existenzminimum reduzierten Leistungen nach § 1a Abs. 2 erhalten. Es erscheint fraglich, ob dies mit den Vorgaben in der Entscheidung des BVerfG v. 18.7.2012 (1 BvL 10/10) vereinbar ist, die allerdings zu § 3 und nicht zu § 1a ergangen ist. Zweifel an der Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Sicherstellung – auch des soziokulturellen – Existenzminimums ergeben sich insbesondere daraus, dass in § 1a Abs. 4 eben nicht auf ein änderbares individuelles Fehlverhalten abgestellt wird.
Rz. 17
Der bereits mit dem Asylbewerberbeschleunigungsgesetz v. 20.10.2015 (BGBl. I S. 1722) zum 24.10.2015 in Kraft getretene Abs. 4 Satz 1 sieht vor, dass § 1 Abs. 2 für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 (Asylbewerber) oder Nr. 5 (vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer) entsprechend gilt, wenn sie sich aus von ihnen zu vertretenden Gründen einer Verteilungsentscheidung nach der Verordnung (EU) 604/2013 entziehen. Hierzu merkt Deibel (ZFSH/SGB 2015, S. 712) kritisch an, dass nicht nachzuvollziehen sei, warum die leistungsberechtigten Personenkreise des § 1 Abs. 1 Nr. 4 (geduldete Ausländer), Nr. 6 (Familienangehörige) und Nr. 7 (Folgeasylantragsteller oder Zweitasylantragsteller) nicht ebenfalls ausdrücklich erwähnt worden seien. Da § 1a aber als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist, dürfte keine Möglichkeit bestehen, diese letztgenannten Personenkreise über den Wortlaut des § 1a Abs. 4 hinaus in die Vorschrift einzubeziehen. Zur grundsätzlich...