0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber v. 30.6.1993 (BGBl. I, 1074) mit Wirkung zum 1.11.1993 in Kraft getreten. Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes v. 26.5.1997 (BGBl. I, 1130) wurde der Wortlaut "sonstige Leistungen dürfen gewährt werden" abgeändert in "sonstige Leistungen können gewährt werden". Weitere Änderungen erfolgten mit dem Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und weiterer Gesetze v. 14.3.2005 (BGBl. I, 721) mit Wirkung zum 18.3.2005. Die bisherigen Regelungen wurden in Abs. 1 zusammengefasst. Abs. 2 wurde hinzugefügt.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 6 enthält eine Auffang- und Öffnungsklausel. Die Vorschrift ist auf alle Grundleistungsberechtigten nach §§ 1 und 3 anwendbar. Sie führt in Abs. 1 Satz 1 "insbesondere" 4 Fallgruppen auf:
- Sicherung des Lebensunterhalts oder
- Sicherung der Gesundheit,
- Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern,
- Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht.
Die Aufzählung ist nicht abschließend. Abs. 1 Satz 2 nennt den Sachleistungsanspruch als Regelfall. Abs. 2 regelt medizinische und sonstige Hilfe für Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG besitzen.
Rz. 3
Über die Auffang- und Öffnungsklausel des § 6 Abs. 1 können nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg (Beschluss v. 11.1.2007, L 7 AY 6025/06 PKH-B) nur unerlässliche, d. h. unverzichtbare Leistungen erbracht werden. § 6 sei restriktiv und einzelfallbezogen auszulegen (LSG Baden-Württemberg, a. a. O., unter Hinweis etwa auf Hohm, GK-AsylbLG, § 6 Rz. 15, 20). Hohm meint, es könne bei Leistungsansprüchen nach § 6 nur an das im Verhältnis zum SGB XII reduzierte deutlich abgesenkte Lebensniveau angeknüpft werden (in: GK-AsylbLG, § 6 Rz. 29, Stand 2008; so auch Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, AsylbLG, § 6 Rz. 4). Lägen die begehrten Leistungen darüber, komme ein Anspruch aus § 6 nicht in Betracht. Angesichts der bereits eng formulierten Leistungsvoraussetzungen in § 6 dürfte dieser Einschränkung allerdings kaum eine weitergehende Bedeutung zukommen.
2 Rechtspraxis
2.1 Berechtigter Personenkreis (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 4
Anspruchsberechtigt sind alle Leistungsempfänger nach den §§ 3 bis 5 und § 1a, nicht aber der in § 2 genannte Personenkreis. Letztere erhalten die sog. Analog-Leistungen abweichend von den §§ 3 bis 7, also auch abweichend von § 6.
2.2 Sonstige Leistungen (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 5
Aufgrund der Funktion der Vorschrift über sonstige Leistungen als Auffangnorm ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Grundleistungen nach § 3 oder von Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 vorliegen. Erst dann, wenn dies im Einzelfall nicht der Fall ist, kommen Leistungen nach § 6 in Betracht. Sonstige Leistungen nach § 6 können als Sachleistungen und in besonderen Fällen auch als Geldleistungen gewährt werden, wobei Abs. 1 Satz 2 den Vorrang von Sachleistungen betont.
2.3 Ermessen bei der Leistungsgewährung
Rz. 6
Nach dem unmissverständlichen Wortlaut von Abs. 1 Satz 1 ("Leistungen können ... gewährt werden") räumt die Vorschrift dem Leistungsträger Ermessen ein. Nach bisheriger Rechtsprechung und Literatur ist die Vorschrift angesichts der Einschränkungen im Gesetzeswortlaut ("unerlässlich" und "geboten") jedoch einzelfallbezogen und restriktiv auszulegen (Frerichs, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., AsylbLG, § 6 Rz. 33). Teilweise wird ein Entschließungsermessen verneint, jedoch das Auswahlermessen betont (Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 6 Rz. 26 f.). In der neueren Kommentarliteratur (Frerichs, a. a. O., Rz. 34; Kraus, in: Siefert AsylbLG, § 6 Rz. 3 ff.; Deibel, in: GK AsylbLG, § 6 Rz. 29 ff.) und Rechtsprechung (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 20.6.2023, L 8 AY 16/23 B ER, und Urteil v. 1.6.2023, L 8 AY19/22) wird eine eigenständige funktionsdifferente Auslegung von Abs. 1 Satz 1 befürwortet. Zu beachten sind danach die besonderen Lebensverhältnisse des Leistungsempfängers und dessen voraussichtlich Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, aber auch die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit. Bei der Beurteilung können als Auslegungskriterien die Grundrechtsrelevanz des betroffenen Rechts, Ausmaß und Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung, die bisherige und voraussichtliche Aufenthaltsdauer und ein zeitnaher Wechsel zu Analogleistungen herangezogen werden (Frerichs, a. a. O., Rz. 39). Allerdings ist stets der Wille des Gesetzgebers zu beachten. Eine Auslegung contra legem ist unzulässig. Bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Gesundheit dürfte das Entschließungsermessen auf Null reduziert sein und lediglich ein Auswahlermessen bestehen.
2.4 Sicherung des Lebensunterhalts
Rz. 7
Sonstige Leistungen können gemäß Abs. 1 Satz 1 Fallgruppe 1 gewährt werden, wenn sie zur Sicherung des Lebensunterhalts unerlässlich sind. Diese Regelung ist im Zusammenhang mit § 3 zu sehen. Anzuknüpfen ist damit an ein gegenüber den Leistungen nach dem SGB XII deutlich abgesenktes Leistungsniveau. Ob nach der Entscheidung des BVerfG v. 18.7.2012 (1 BvL...