Rz. 4
Der Gefahrenbegriff ist im Polizei- und Ordnungsrecht entwickelt worden. Eine Gefahr setzt danach begrifflich voraus, dass bei ungehindertem Ablauf der Ereignisse ein Schaden für das jeweilige Schutzgut eintritt (vgl. Becker, § 9 Rz. 393 m. w. N.). Ebenso wie im Polizei- und Ordnungsrecht muss der allgemeine Gefahrenbegriff auch hier präzisiert werden. Zu fordern ist eine individuelle Gefahr im Einzelfall, die über die generelle Gefahr hinausgeht, die durch die im Berufskrankheitentatbestand genannte schädigende Einwirkung verursacht wird. Es genügt bereits die statistisch erhöhte Möglichkeit des Entstehens, des Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer Berufskrankheit (BSG, Urteil v. 22.3.1983, 2 RU 22/81; Urteil v. 16.3.1995, 2 RU 18/94; Urteil v. 20.2.2001, B 2 10/00 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.2.2003, L 2 U 67/02). Das Risiko des Schadenseintritts muss jedenfalls am konkreten Arbeitsplatz des Versicherten über den Grad hinausgehen, der bei anderen Versicherten bei einer vergleichbaren Beschäftigung besteht.
Rz. 5
Eine zeitliche Nähe des Schadenseintritts fordert ein Teil der Kommentarliteratur (Ricke, in: Kasseler Kommentar, § 9 Rz. 61; Römer, in: Hauck/Noftz, § 9 Anhang, § 3 BKV Rz. 21), nicht aber die Rechtsprechung (BSG, Urteil v. 25.10.1989, 2 RU 57/88).
Rz. 6
Da der Zusammenhang in Bezug auf eine künftig entstehende, wiederauflebende oder sich verschlimmernde Berufskrankheit beurteilt werden muss, ist eine Risikoprognose vorzunehmen. Dabei müssen die betrieblichen und die individuellen Risikofaktoren wertend betrachtet und abgewogen werden. Dies macht die Anwendung der vom BSG (a. a. O.) kreierten Risikoerhöhungsformel äußerst schwierig. Die Formel von der statistisch erhöhten Möglichkeit sollte den Blick nicht dafür verstellen, dass die Prognose nicht bloß die Möglichkeit, sondern die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung im Einzelfall ergeben muss. Es müssen Anhaltspunkte dafür vorhanden, also feststellbar sein, dass bei Fortsetzung der gefährdenden Tätigkeit mit Wahrscheinlichkeit die Berufskrankheit entstehen, wiederaufleben oder sich verschlimmern wird. Dafür reicht allerdings nach der Risikoerhöhungsformel ein Schädigungsrisiko aus, das nicht unerheblich über jenes hinausgeht, welches zur Aufnahme in die Liste der Anl. 1 zur BKV geführt hat.
Rz. 7
Als wichtige Kriterien bei der Risikoabschätzung im Einzelfall werden genannt (Mehrtens/Perlebach, § 3 BKV Anm. 2.7):
- Art und Ausprägung der gesundheitlichen Risikofaktoren,
- Art und Intensität der Einwirkungen,
- Ausprägung des individuellen Krankheitsverlaufs sowie
- Schwere der drohenden körperlichen Schädigungen.