Rz. 23
Abs. 3 regelt den Grundsatz des Adoptionsvorrangs, der ursprünglich in § 36 Abs. 1 Satz 2 geregelt war (vgl. BR-Drs. 5/21 S. 89 = BT-Drs. 19/26107 S. 91).
Rz. 24
Die Prüfung der Annahme als Kind – also der Adoptionsvorrang – ist bei der Erarbeitung der dauerhaften Lebensperspektive allerdings nur ein Regelbeispiel, wie sich aus der Formulierung "insbesondere" ergibt. Allerdings ist das Regelbeispiel im Interesse eines in Zukunft stabilen Lebensumfeldes eine gewichtige Variante einer dauerhaften Lebensperspektive. Diese rückt umso stärker in den Vordergrund, je jünger das Kind ist. Bei Jugendlichen – also nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 der Personengruppe, die 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist – können ggf. andere Hilfen zur Schaffung einer dauerhaften Lebensperspektive der Vorrang gegenüber der Annahme als Kind eingeräumt werden. Bei dieser Altersgruppe können insoweit andere Maßnahmen sinnvoll – also geeignet und erforderlich – sein.
Rz. 25
Der Adoptionsvorrang ist ein Regelbeispiel mit Vorrangscharakter. Die Prüfung der Adoptionseignung beruht auf dem Vorrang der Adoption vor einer Fremdunterbringung i. S. d. § 36 Abs. 1 Satz 2 (Wiesner, noch zu § 36 SGB VIII, Rz. 38; vgl. auch: Hoffmann, Adoptionsoption in der Hilfeplanung – Perspektive der Fachkräfte in der Hilfeplanung, JAmt 2011 S. 10).
Rz. 26
Diese Prüfpflicht greift allerdings erst, wenn die Rückkehroption fehlgeschlagen ist und die auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden muss; das ergibt sich aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung des Satz 3 zu Satz 2 ebenso wie aus Sinn und Zweck des Vorrangs der Herkunftsfamilie i. S. d. Satz 1. Der Adoptionsvorrang steht im Konkurrenzverhältnis zu § 37 Abs. 1 Satz 2. Im Interesse des Kindes und in Erfüllung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 GG – die Pflege und Erziehung des Kindes ist das natürliche Elternrecht (vgl. auch die einfachgesetzliche Ausgestaltung in § 1 Abs. 2) – ist die Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie vorrangig (zur Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie vgl. Steege, Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie im SGB VIII: Rechtliche und fachliche Grundlagen – Teil 1 und 2, JAmt 2010 S. 101 und S. 165). Die Adoptionsalternative ist bei einer Rückkehroption daher grundsätzlich ausgeschlossen und kann erst geprüft werden, wenn aufgrund des Hilfeplans feststeht, dass für längere Dauer eine Hilfe außerhalb der eigenen Familie zu leisten ist; also erst nach Aufstellung des Hilfeplans gemäß § 36. Die erforderliche Prüfung durch das Jugendamt hat dabei sowohl vor einer langfristigen Hilfe als auch während der Gewährung der Hilfe zu erfolgen. Sofern eine Rückkehroption ausscheidet, muss die Prüfung der Adoption zwingend folgen.
Rz. 27
Für die Beurteilung, ob eine Rückkehroption in die Herkunftsfamilie ausscheidet, ist auf den vertretbaren Zeitraum nach Satz 1 zurückzugreifen. Die Adoptionsprüfung hat dann zu erfolgen, wenn eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie in einem vertretbaren Zeitraum nicht in Betracht kommt. In der Regel ist von einem mehrjährigen Zeitraum auszugehen. In allen Fallkonstellationen, in welchen eine längerfristige Hilfe notwendig ist, ist die Adoptionsfachkraft am Hilfeplanungsverfahren zu beteiligen (vgl. Salgo, ZfJ 2004 S. 410). Um lange Schwebezustände zulasten des Kindes zu vermeiden und um eine dauerhafte Alternativlösung in der Adoption zu finden, ist zu berücksichtigen, dass auch das Elternrecht seine Grenzen hat – Zerfall des Elternrechts (zum Verhältnis Elternrecht und Adoption vgl. auch Salgo, ZfJ 2004 S. 410). Die Einwilligung der Eltern in die Adoptionsfreigabe ist dabei gemäß § 1748 BGB gerichtlich ersetzbar. Die Ersetzung ist jedoch an strenge Maßstäbe gebunden und kommt nur dann in Betracht, wenn eine anhaltende gröbliche oder besonders schwere Pflichtverletzung oder eine Gleichgültigkeit seitens der Eltern bzw. des nicht einwilligenden Elternteils vorliegt. Die Annahme von Hilfen zur Erziehung sind prinzipiell ein Indiz für das Interesse der Eltern am Wohlergehen ihres Kindes und stehen daher einer Ersetzung der Einwilligung zumindest indiziell entgegen (so im Ergebnis wohl auch: Münder, noch zur Vorgängervorschrift § 36 SGB VIII, Rz. 18).
Rz. 28
Den Adressaten, wer das Kind annehmen soll, nennt die Vorschrift nicht. Hier ist vorrangig an die Pflegeperson zu denken; aufgrund des offenen Charakters der Vorschrift kommen aber durchaus andere Personen in Betracht, insbesondere solche Personen, die in besonderem Maße Bezugsperson für das Kind oder den Jugendlichen sind. Das muss nicht unbedingt die Pflegeperson sein.
Rz. 29
Satz 3 gibt des Weiteren den zeitlichen Rahmen für diese Prüfpflicht vor und verpflichtet den Jugendhilfeträger, vor und während der Gewährung der Hilfe die Annahme als Kind zu prüfen.