Rz. 41
Die Maßnahmen des Jugendamtes nach § 42 stellen keine behördlichen Anordnungen dar, deren Rechtmäßigkeit durch das Familiengericht (vor dem 1.7.1998 das Vormundschaftsgericht) zu prüfen ist (OLG Frankfurt, Beschluss v. 22.1.2019, 4 WF 145/18). Das Familiengericht hat vielmehr die danach erforderlichen sorgerechtlichen Entscheidungen zu treffen (OLG Bamberg, Beschluss v. 11.8.1998, 2 UF 169/98; OVG Lüneburg, Beschluss v. 18.9.2009, 4 LA 706/07). Das Familiengericht hat gemäß § 1666 Abs. 1 BGB die zur Abwendung der Gefahr für das Kindeswohl erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Wie bei der Gefahrenabwehr im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts so ist auch hier zu prüfen, welche Maßnahme gegenüber welchem "Störer" geboten ist. In der Regel wird es sich um Maßnahmen handeln, die gegen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten gerichtet sind. § 1666 Abs. 4 BGB stellt klar, dass in Angelegenheiten der Personensorge auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten in Betracht kommen. Voraussetzung ist eine Gefährdung des Kindeswohls. Diese wird definiert als Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohles des Kindes. Das Familiengericht hat auch die notwendigen sorgerechtlichen Maßnahmen im Anschluss an die Eilmaßnahme der Inobhutnahme zu veranlassen. Kann es keine solche endgültige Entscheidung zu einem Eingriff in das Sorgerecht der Eltern zur Durchsetzung einer Anschlusshilfe treffen und hält es dennoch bis zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes einen Verbleib des Kindes und Jugendlichen in fremder Obhut für erforderlich, hat es den Eltern zur Ermöglichung einer Anschlusshilfe vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und regelmäßig das Recht zur Beantragung von Leistungen zur Hilfen zur Erziehung oder der Eingliederungshilfe nach §§ 27ff. bzw. § 35a zu entziehen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 11.9.2012, 12 B 1020/12).
Rz. 42
§ 1666 Abs. 1 BGB stellt ferner klar, dass eine solche Gefährdung
- durch eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge,
- durch Vernachlässigung des Kindes,
- durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder
- durch das Verhalten eines Dritten
ausgelöst werden kann. Zur elterlichen Sorge gehört die Personensorge und die Vermögenssorge (§ 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Rz. 43
Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein. Sie muss demnach geeignet sein, die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Sie muss zu diesem Zweck erforderlich sein, insbesondere ist zu prüfen, ob nicht ein milderes Mittel ausreicht, um das Ziel zu erreichen. Daher wird das Familiengericht i. d. R. zunächst eine vorläufige Anordnung treffen, die etwa eine zeitlich befristete Unterbringung des Kindes oder des Jugendlichen vorsieht. Erst nach weiterem Zeitablauf wird es prüfen, ob und inwieweit länger andauernde Maßnahmen zu treffen sind. Die Maßnahme muss schließlich angemessen sein. Dabei sind die Grundrechte des Kindes oder des Jugendlichen, die Grundrechte des Personensorge- oder Erziehungsberechtigten und die Belange des Allgemeinwohls zu beachten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird in Bezug auf besonders einschneidende Maßnahmen konkretisiert durch § 1666a BGB. Vor einer Trennung des Kindes von der elterlichen Familie muss stets geprüft werden, ob die Gefahr nicht auf andere Weise, insbesondere durch öffentliche Hilfen abgewendet werden kann (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB). Gleiches gilt für eine Untersagung der Nutzung der Familienwohnung (§ 1666a Abs. 1 Satz 2 BGB). Bei der Bemessung der Dauer der Maßnahme ist zu beachten, ob und inwieweit dem durch die Maßnahme Betroffenen das Eigentum oder dingliche Rechte an der Wohnung zustehen. Die Entziehung der gesamten Personensorge ist ultima ratio (§ 1666a Abs. 2 BGB). Sie kommt nur dann in Betracht, wenn mildere Mittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zur Beseitigung der Gefahr ausreichen.
Rz. 44
Als Maßnahmen kommen Ermahnungen, Verwarnungen, Gebote und Verbote, Entziehung der tatsächlichen Sorge und Unterbringung des Kindes oder des Jugendlichen bei einer Pflegeperson oder in einem Heim, Ersetzung von Erklärungen der Sorgeberechtigten (§ 1666 Abs. 3 BGB) über die Einwilligung in eine Operation oder in eine ärztliche Behandlung, Einschränkung oder Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts in Betracht. Maßnahmen gegen Dritte (§ 1666 Abs. 4 BGB) können Umgangsverbote sowie Verbote der Überlassung von Alkohol, Drogen usw. sein. Als besonders einschneidende Maßnahmen nennt § 1666a BGB die Trennung des Kindes von der Familie, die Untersagung der Nutzung einer Wohnung gegenüber einem Elternteil oder einem Dritten und die Entziehung der gesamten Personensorge. Verschiedene gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindesvermögens sind in § 1667 BGB aufgeführt.