Rz. 7

Das Verständnis von § 77 erklärt sich vor dem Hintergrund der in §§ 1 bis 5 entfalteten allgemeinen Grundsätze der Jugendhilfe. Trägerautonomie, Kooperationsprinzip, Subsidiaritätsgrundsatz und Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen werden zur praktisch gelebten Realität in dem Dreiecksverhältnis zwischen öffentlicher Jugendhilfe, freier Jugendhilfe und Leistungsberechtigten (sog. sozialrechtliches Dreiecksverhältnis, vgl. LSG Hessen, Beschluss v. 19.3.2008, L 9 SO 1/08 B ER Rz. 19; VG München, SRa 2015 S. 83, 84; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 77 Rz. 6; Kunkel, ZKJ 2008 S. 505; Meysen/Reiß, SRa 2015 S. 56). § 77 hilft, in diesem ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen:

  • Die Inanspruchnahme der Leistungen wird infolge des Wunsch- und Wahlrechts der Betroffenen nach § 5 (zivilrechtlich) von den Empfängern der Jugendhilfe gesteuert. Grundlage der Leistungsabwicklung sind dabei jeweils Verträge zwischen dem Träger der freien Jugendhilfe und den Leistungsberechtigten, an denen die öffentliche Jugendhilfe nicht beteiligt ist.
  • Da sich die Ansprüche der Leistungsberechtigten nach dem SGB VIII indessen gegen die öffentliche Jugendhilfe richten, muss diese grundsätzlich für die Kosten aufkommen, ohne Einfluss auf die Leistungsabwicklung und die Höhe des Entgeltes zu haben. Ihr gewährleisten die Vereinbarungen nach § 77 daher die Möglichkeit einer Steuerung des Umfangs der anfallenden Kosten, ohne andererseits das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen infrage zu stellen.
  • Zugleich sichern diese damit den Trägern der freien Jugendhilfe sichert er die Finanzierung der Inanspruchnahme ihrer Einrichtungen und Dienste durch die Leistungsempfänger und erleichtern beiden Seiten die Abrechnungspraxis.
  • Als einvernehmliche Absprachen zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe tragen sie zugleich dem in § 4 geregelten Prinzip der partnerschaftlichen Kooperation zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe Rechnung.
 

Rz. 8

Aus Sicht der öffentlichen Jugendhilfe ist ihr Abschluss darüber hinaus auch deshalb sinnvoll, weil diese infolge des Subsidiaritätsprinzips nach § 4 Abs. 2 von eigenen Maßnahmen absehen soll, soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben oder rechtzeitig geschaffen werden können und ihr nur über die Vereinbarungen der öffentlichen Jugendhilfe eine begrenzte Steuerungsmöglichkeit an die Hand gegeben wird.

 

Rz. 9

Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist groß, weil die Mehrzahl der Einrichtungen und Dienste der Jugendhilfe von freien Trägern betrieben wird. Ein bedeutender Anwendungsbereich entfällt indessen inzwischen durch die Spezialregelungen der §§ 78a bis g, welche Vereinbarungen nach § 77 in ihrem Anwendungsbereich ersetzen. Das gilt vor allem für voll- und teilstationäre Leistungen (vgl. Banafsche, ZKJ 2011 S. 116, 120), denn nur für ambulante Leistungen gilt ausschließlich § 77 (vgl. Gerlach/Hinrichs, ZKJ 2010 S. 344, 347).

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