1 Allgemeines
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit Art. 1 § 75 des Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und Jugendhilfegesetz – KJHG) v. 26.6.1990 (BGBl. I S. 1163) eingeführt worden und am 1.1.1991 in Kraft getreten. Abgesehen von geringfügigen redaktionellen Änderungen wurde erst durch Art. 1 Nr. 48 des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) zum 10.6.2021 Satz 2 geändert und Satz 3 eingefügt. Die Vorschrift ist Ausfluss des Kooperationsprinzips im Jugendhilferecht und dient dessen Effektivierung. Arbeitsgemeinschaften zwischen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und freien Trägern fördern die Zusammenarbeit. Sie schaffen ein Forum zur Kommunikation, Kooperation und Konsensbildung zum Wohle der Jugendhilfe jenseits gesetzlicher Zuständigkeiten und unterliegen nicht der staatlichen Aufsicht. Öffentliche und freie Jugendhilfe treten einander auf gleicher Augenhöhe gegenüber. Die Regelung drückt deshalb die partnerschaftliche Zusammenarbeit aus, die § 4 vorsieht. Die Vorschrift ist lex specialis und verdrängt die Regelung in § 94 Abs. 1a SGB X.
2 Rechtspraxis
2.1 Aufgaben der Arbeitsgemeinschaften
Rz. 2
Die Vorschrift enthält keine inhaltliche Aufgabenbestimmung. Da die Arbeitsgemeinschaften auf dem Gebiet der Jugendhilfe gebildet werden, sind sie thematisch allerdings begrenzt auf die Ziele und Aufgaben, die § 1 Abs. 1 und 3 sowie § 2 vorgeben. Innerhalb dieses Rahmens bestimmen die Beteiligten die Aufgaben. Zu beachten ist dabei das Abstimmungsgebot des § 78 Satz 2, das es mit sich bringt, geplante Maßnahmen mit einzubeziehen.
Rz. 3
Zu den wichtigsten Aufgaben gehört es, Jugendhilfeplanungen zu initiieren und zu begleiten sowie neue Konzepte und Ideen in der Jugendhilfe voranzubringen. Gegen eine Einbeziehung der Jugendämter in die Jugendhilfeplanung spricht allerdings, dass Satz 2 davon spricht, dass die "geplanten" Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden und sich gegenseitig ergänzen. Die Formulierung dürfte nicht so zu verstehen sein, dass die Arbeitsgemeinschaften nur für die Umsetzung bereits geplanter Maßnahmen zuständig sind, sondern ihre Tätigkeit gerade darauf verstricken können, im Vorfeld der Planung zusammenzuwirken. In diesem Sinne lässt sich ihre Arbeit dann auch in die Jugendhilfeplanung integrieren. Mit dem KJSG wurde die Zielsetzung ergänzt durch den Auftrag zum bedarfsgerechten aufeinander abgestimmten Zusammenwirken der unterschiedlichen Leistungsangebote im Lebens- und Wohnbereich der jungen Menschen und ihrer Familien entsprechend ihren Bedürfnissen, Wünschen und Interessen. Der neu eingefügte Satz 3 eröffnet es, Vertretungen selbstorganisierter Zusammenschlüsse nach § 4a in den Arbeitsgemeinschaften zuzulassen.
Rz. 3a
Satz 2 i. d. F. des KJSG führt neben dem Erfordernis des aufeinander Abstimmens und des gegenseitigen Ergänzens das Zusammenwirken in den Lebens- und Wohnbereichen junger Menschen und Familien entsprechend ihren Bedürfnissen, Wünschen und Interessen als Aufgabe der Arbeitsgemeinschaften auf. Damit soll der Gedanke der Sozialraumorientierung stärkeren Einfluss gewinnen (Wiesner/Wapler/Schön, 6. Aufl. 2022, SGB VIII, § 78 Rz. 6a). Die Arbeitsgemeinschaft soll als "Gremium der fachlichen Vorklärung zur Vorbereitung von Beratungs- und Entscheidungsprozessen im Jugendhilfeausschuss" gestärkt und auf diese Weise eine ganzheitliche Leistungsplanung ermöglicht werden (Janda, in: BeckOGK, Stand: 1.2.2024, SGB VIII, § 78 Rz. 13). Der durch das KJSG neu eingefügte Satz 3 eröffnet jetzt auch selbstorganisierten Zusammenschlüssen die Möglichkeit einer Mitwirkung in den Arbeitsgemeinschaften. Nach § 4a Abs. 1 können sich in solchen nicht berufsständischen Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe die eingebundenen Personen, insbesondere Leistungsberechtigte und Leistungsempfänger nach diesem Buch sowie ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendhilfe tätige Personen, nicht nur vorübergehend mit dem Ziel zusammenschließen, Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe zu unterstützen, zu begleiten und zu fördern, sowie Selbsthilfekontaktstellen zu bilden. Diese selbstorganisierten Zusammenschlüsse sollen als Vertretung der Adressatinnen und Adressaten der Maßnahmen bzw. Angebote neben den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe zur Abstimmung geplanter Maßnahmen auch im Hinblick auf ein koordiniertes Zusammenwirken im Sozialraum beteiligt werden (vgl. BT-Drs. 19/26107 S. 109).
2.2 Zustandekommen
2.2.1 Inhalt der Pflicht und Einordnung
Rz. 4
Die öffentlichen Träger sollen die Bildung von Arbeitsgemeinschaften anstreben. Das beinhaltet eine Verpflichtung auf das Ziel, nicht auf den Erfolg. Ein subjektives Recht und ein klagbarer Anspruch wird also nicht begründet (Trésoret, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 78 Rz. 37; Münning, ZfJ 1992, 605). Der Gesetzgeber hat die Verpflichtung der öffentlichen Jugendhilfe in doppelter Hinsicht abgeschwächt; zunächst auf ein "Sollen", sodann auf den Begriff des "Anstrebens", dem von vornherein eine gewisse üb...