0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Durch Art. 12 Nr. 7 i. V. m. Art 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) wurde die frühere Vorschrift mit Wirkung zum 1.1.2018 als 17. Kapitel des SGB XII (Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Zeit vom 1.1.2018 bis zum 31.12.2019) eingefügt. Gemäß Art. 13 Nr. 41 BTHG ist diese Fassung der Vorschrift am 31.12.2019 außer Kraft getreten.
An ihre Stelle tritt die durch Art. 3 Nr. 12 des Gesetzes zur Änderung des Neunten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften v. 30.11.2019 (BGBl. I S. 1948) mit Wirkung zum 1.1.2020 in Kraft getretene Neufassung. Sie sollte die Zahlungslücke durch die "Verschiebung" der Leistungen der Eingliederungshilfe vom SGB XII in das SGB IX ausgleichen und ist zum Jahresende 2022 außer Kraft getreten.
Durch Art. 5 Nr. 16 des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) v. 16.12.2022 (BGBl. I S. 2328) wurde die ab 1.1.2023 geltende Fassung eingeführt.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Regelung steht im Zusammenhang mit der Neuregelung in § 35 Satz 2, wonach innerhalb einer Karenzzeit von einem Jahr, abweichend von § 35 Satz 1 die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen im Rahmen der Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII anerkannt werden. Die Regelung entspricht inhaltlich der Übergangsregelung in § 65 SGB II.
2 Rechtspraxis
Rz. 3
Die Regelung in Abs. 1 ist im Zusammenhang mit der Vorschrift zur Karenzzeit in § 35 Abs. 1 Satz 2 zu sehen. Danach gilt für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach dem SGB XII bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden abweichend von § 35 Abs. 1 Satz 1 Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt. Die Bedarfe für die Unterkunft sind innerhalb der Karenzzeit grundsätzlich auch dann anzuerkennen, wenn sie nach Maßgabe des § 35 Satz 1 SGB XII der Höhe nach nicht angemessen sind (wenn z. B. die Wohnung zu groß, die Miete oder die Heizkosten zu hoch sind). Für die Dauer der Karenzzeit soll den Leistungsempfängern die bisherige Wohnung erhalten bleiben. Dadurch, dass gemäß Abs. 1 Zeiten eines Leistungsbezugs bis zum 31.12.2022 bei der Karenzzeit unberücksichtigt bleiben, wird erreicht, dass in diesen Fällen eine neue Karenzzeit bis zum 31.12.2023 läuft (vgl. BT-Drs. 20/4360 S. 39).
Rz. 4
Gemäß Abs. 2 gilt dies nicht, d. h. es beginnt keine neue Karenzzeit ab 1.1.2023, wenn bereits in einem der vorangegangenen Bewilligungszeiträume die angemessenen, und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf für die Unterkunft anerkannt wurden. Sofern Leistungsberechtigte die Herabsetzung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf das angemessene Maß zu einem früheren Zeitpunkt akzeptiert haben und ihre Aufwendungen auch nicht gesenkt haben, besteht kein Grund, mit Einführung der Karenzzeit wieder die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anzuerkennen (BT-Drs. 20/4360 S. 139). Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass dies für Fälle gilt, in denen bereits für Bewilligungszeiträume vor dem Inkrafttreten des bis Jahresende 2022 geltenden § 141 SGB XII Kosten der Unterkunft nur in Höhe der angemessenen Aufwendungen anerkannt wurden. Damit sind also Bewilligungszeiträume vor dem 28.3.2020 gemeint. Ob Abs. 2 nur dann greift, wenn im gesamten Bewilligungszeitraum vor dem 28.3.2020 nur die angemessenen Kosten der Unterkunft anerkannt wurden, oder ob die Regelungen des Abs. 1 über die Karenzzeit auch dann nicht anzuwenden sind, wenn dies nur in einem Teil des Bewilligungszeitraumes oder nur in einem Monat der Fall war, ist obergerichtlich oder höchstrichterlich nicht entschieden. Der Sinn und Zweck der Vorschrift dürfte dafür sprechen, dass es genügt, wenn zumindest im letzten Monat des betreffenden früheren Bewilligungszeitraums nur die angemessenen Aufwendungen der Unterkunft anerkannt worden sind (Filges, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 140 Rz. 30 mit Hinweis auf die Kommentierung zur Parallelregelung in § 65 Abs. 6 SGB II und zu § 67 Abs. 3 SGB II).
Rz. 5
Die Regelungen über die Karenzzeit sind nach Abs. 2 nur dann nicht anzuwenden, wenn für die aktuell bewohnte Unterkunft in einem der vorangegangenen Bewilligungszeiträume die angemessenen Aufwendungen (nicht die tatsächlichen) anerkannt wurden. Wenn inzwischen ein Umzug stattgefunden hat, trifft dies nicht zu mit der Folge, dass in dem Fall nach Abs. 1 nicht nur die angemessenen, sondern die tatsächlichen Kosten der Unterkunft anzuerkennen sind.
3 Literatur
Rz. 6
Seligmann, Das Bürgergeld-Gesetz – das ändert sich im SGB XII, RdLH 2023 S. 1.