0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift trat als Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) am 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1 des genannten Gesetzes) in Kraft. In Satz 1 wurde durch Art. 8 Nr. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende v. 30.7.2006 (BGBl. I S. 1706) mit Wirkung zum 1.8.2006 die lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft eingefügt. Durch Art. 3 Nr. 6 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch v. 24.3.2011 (BGBl. I S. 453) wurde zum 1.1.2011 lediglich eine redaktionelle Änderung vorgenommen. In Satz 2 wird auf § 39 Bezug genommen und dadurch den Verschiebungen durch dieses Gesetz Rechnung getragen.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Regelung überträgt inhaltsgleich den früheren § 122 BSHG. Lediglich die lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft war dort noch nicht erwähnt.
Rz. 3
Die Vorschrift trägt dem Grundsatz Rechnung, dass es nicht gerechtfertigt ist, Partner einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft bei Voraussetzungen und Umfang von Sozialhilfeleistungen besser zu stellen als Ehepaare. Sie knüpft damit unmittelbar an § 19 an, wonach bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen ist (§ 19 Abs. 3 Satz 1) bzw. hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt an § 27 Abs. 2 Satz 2 und hinsichtlich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung an § 43 Abs. 1, sodass sich die gesetzliche Gleichstellungsanordnung grundsätzlich auf sämtliche Hilfen des SGB XII bezieht. Sie verwirklicht das in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Gebot, die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates zu stellen. Darin liegt nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Ehe, sondern zugleich eine Wertentscheidung für die gesamte Rechtsordnung, die es dem Gesetzgeber verbietet, die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu benachteiligen. Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel ist ein Rückgriff auf § 20 nicht erforderlich, da § 43 Abs. 1 Satz 2 die eheähnliche und lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft ausdrücklich erfasst. Eine Parallelvorschrift im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende findet sich in § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. c SGB II. Die dort in § 7 Abs. 3a SGB II vorgesehene Vermutungsregelung ist auf das SGB XII nicht übertragbar (vgl. dazu unter Rz. 21).
Rz. 4
§ 20 gilt grundsätzlich für sämtliche Leistungen der Sozialhilfe. Demgegenüber betrifft Satz 2, der die Vermutung der Bedarfsdeckung in § 39 auch auf nichteheliche Lebensgemeinschaften überträgt, seiner eindeutigen systematischen Stellung nach, nur die Hilfe zum Lebensunterhalt. Insofern handelt es sich bei Satz 2 um eine besondere Leistungsvorschrift, die in den "allgemeinen Teil" des Leistungsrechts vorgezogen worden ist.
Rz. 5
§ 20 ist mit dem GG vereinbar. Die Überlegungen, die das BVerfG insoweit zu § 137 Abs. 2a AFG angestellt hat, lassen sich auf § 20 übertragen (Urteil v. 17.11.1992, 1 BvL 8/87): Danach liegt zunächst kein Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Gebot der Bestimmtheit und Klarheit rechtlicher Normen vor, obwohl der Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft weder im SGB XII noch sonst in der Rechtsordnung definiert ist. Dennoch handelt es sich um eine typische Erscheinung des gesellschaftlichen Lebens, die sich von anderen Gemeinschaften wie z. B. Wohngemeinschaften oder Lebensgemeinschaften von Verwandten hinreichend deutlich abhebt. Nur soweit man die eheähnliche Gemeinschaft in diesem Sinne begreift – das BVerfG spricht von einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft –, ist § 20 mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Denn nur in diesem Fall bestehen zwischen den von § 20 betroffenen Gemeinschaften und bloßen Haushalts- oder Wirtschaftsgemeinschaften Unterschiede von solchem Gewicht, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. § 20 verstößt auch nicht gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Vorschrift verbietet es nicht, eheähnliche Gemeinschaften zu gründen oder in ihnen zu leben, und stellt hierfür auch keine unzumutbaren Hürden auf. Denn die mit der Regelung verbundenen Belastungen gehen im Ergebnis nicht über das hinaus, was der Gesetzgeber auch Ehen zumutet. Soweit man auf das Erfordernis verzichtet, dass zwischen den Partnern der eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft sexuelle Beziehungen bestehen und demgemäß die Sozialhilfeträger und Gerichte zu dahin gehenden Feststellungen verpflichtet, liegt auch kein unangemessener, im Hinblick auf die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) bedenklicher Eingriff in die Intimsphäre vor.
2 Rechtspraxis
2.1 Eheähnliche Gemeinschaft (Satz 1)
Rz. 6
Ausgehend von der Notwendigkeit, den Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft so zu beschreiben, dass eine hinreichend...