Rz. 33
Abs. 3 präzisiert gegenüber der bis zum 31.12.2010 geltenden Vorgängerregelung nebst RSV die Auswertung einer EVS durch Sonderauswertungen (zum Ganzen BT-Drs. 17/3404 S. 121). Danach hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die Ermittlung der Regelbedarfe auf der Grundlage einer neuen EVS Sonderauswertungen beim Statistischen Bundesamt in Auftrag zu geben. Unter Sonderauswertungen versteht man Auskünfte zu besonderen Fragestellungen, die das Statistische Bundesamt auf der Grundlage der EVS machen kann. Nach der gesetzlichen Vorgabe sind Sonderauswertungen zumindest für Einpersonenhaushalte und Familienhaushalte (Paarhaushalt mit einem Kind) in Auftrag zu geben, was zusätzliche Sonderauswertungen nicht ausschließt. So wurden bezogen auf die EVS 2008 nachträglich noch 3 Zusatzauswertungen für die Berechnung einzelner Bedarfspositionen nämlich unter den Gesichtspunkten Energiebedarf, Verkehr/Mobilität und Nachrichtenübermittlung beigezogen. Durch die Auswahl von Sonderauswertungen lässt sich die Höhe des Regelbedarfes nicht unerheblich beeinflussen (kritisch dazu Lenze, in: LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, Anh. § 28, § 2 RBEG).
Rz. 34
Die Ausweitung der für die Neuermittlung von Regelbedarfsstufen erforderlichen Sonderauswertung gegenüber der bei der bisherigen Regelsatzbemessung auf Einpersonen- und Familienhaushalte (§ 2 RBEG) ist eine Konsequenz des Urteils des BVerfG. Danach können Bedarfe von Kindern und Jugendlichen nicht mehr aus den Verbrauchsausgaben der Einpersonenhaushalte abgeleitet werden (BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rz. 190 – "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen"). Die bisherige Konzeption des "Eckregelsatzes" (vgl. §§ 2 und 3 RSV) war damit aufzugeben. Die sich daraus ergebenden Probleme sind aber weiterhin noch nicht befriedigend gelöst (vgl. Rz. 39 f.).
Rz. 35
Die Regelbedarfsstufen sind jeweils gesondert zu ermitteln. Die Regelbedarfsstufe 1 ersetzt seit dem 1.1.2011 für alleinlebende und alleinerziehende Leistungsberechtigte den vorherigen Eckregelsatz. Bei der Ermittlung des Regelbedarfs sind Zirkelschlüsse zu vermeiden. Das bedeutet, dass diejenigen Haushalte, die selbst über staatliche Transferleistungen lediglich das Existenzminimum zur Verfügung haben, nicht als Referenzhaushalt Grundlage der Ermittlung des Regelbedarfs sein dürfen (Abs. 3 Satz 3). Sie sind deshalb aus der Referenzgruppe für die Sonderauswertungen der EVS auszuscheiden. Der Anteil der danach verbleibenden Haushalte unterer Einkommensschichten an allen Haushalten der jeweiligen Haushaltstypen ist so zu bemessen, dass die für die statistischen Auswertungen im Rahmen einer Sonderauswertung hinreichende Fallzahl gewährleistet wird (Abs. 3 Satz 4).
Rz. 36
Die Vorgaben von Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 hat der Gesetzgeber letztlich in § 3 RBEG umgesetzt. Dort ist im Einzelnen angegeben, welche Haushalte nicht als Referenzhaushalte Berücksichtigung finden dürfen. Dabei ist insbesondere der fehlende Ausschluss sog. Aufstocker aber auch anderer Personengruppen (z. B. Studenten) von den Referenzhaushalten kritisiert worden, weil dies dem Zirkelschlussverbot widerspreche (vgl. Münder, Soziale Sicherheit Extra 2011 S. 63, 69; Rothkegel, ZFSH/SGB 2011 S. 69, 73; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 26. EL II/2012, § 28 Rz. 48; Gutzler, in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 1.2.2020, § 28 Rz. 23).
Rz. 37
Das BSG (Urteil v. 12.7.2012, B 14 AS 153/11 R, Rz. 40) hat im Anschluss an die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/3404 S. 87) mit Blick auf den dem Gesetzgeber zukommenden Gestaltungsspielraum einen Verstoß gegen das Zirkelschlussverbot nicht gesehen. Soweit die Abgrenzung der Referenzhaushalte nach unten an Leistungen anknüpfe, die im Erhebungszeitraum zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums als ausreichend erachtet worden seien, sei dies zumindest nicht sachwidrig oder realitätsfern. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen können, dass damit innerhalb der Referenzgruppe nur Haushalte verblieben, die von Einkünften oberhalb des Existenzminimums lebten. Mittlerweile hat auch das BVerfG die Regelung über die auszuschließenden Haushalte für verfassungskonform erklärt (Beschluss v. 23.7.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rz. 103 ff.).
Rz. 38
Auch im Hinblick auf das Problem der "verdeckten Armen", also derjenigen, die einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt hätten, ihn aber nicht geltend machen (dazu ausführlich Münder, Soziale Sicherheit Extra 2011 S. 63, 70; Lenze, in: LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, Anh. § 28, § 3 RBEG Rz. 7) sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet gewesen, seine Abgrenzungssystematik über § 3 RBEG hinaus schon bei der Auswertung der EVS 2008 fortzuentwickeln (BSG, Urteil v. 12.7.2012, B 14 AS 153/11 R, Rz. 44; vgl. BVerfG, Beschluss v. 23.7.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13). Der entsprechende Auftrag des BVerfG (Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rz. 169) habe sich auf die ...