Rz. 49
Nach dem zum 1.1.2023 neu aufgenommenen Satz 6 werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen für Wohnungsbeschaffungskosten, Mietkautionen, Genossenschaftsanteile und Umzugskosten (Satz 5), solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung i. H. v. 5 % der maßgebenden Regelbedarfsstufe getilgt.
Die Regelung orientiert sich an § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II, der im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende bereits seit dem 1.4.2011 die Aufrechnung von Rückzahlungsansprüchen aus (sämtlichen) Darlehen ermöglicht. Die in jener Vorschrift vorgesehene Tilgungshöhe von ursprünglich 10 % wurde ab dem 1.7.2023 auf 5 % reduziert und damit an die Vorschrift des § 37 Abs. 4 Satz 1 (BT-Drs. 20/4360 S. 36) und zugleich an § 35a Abs. 2 Satz 6 angeglichen.
Rz. 50
Vor Einfügung von Satz 6 in § 35a Abs. 2 zum 1.1.2023 gab es im SGB XII keine Rechtsgrundlage für die Aufrechnung von Darlehensrückzahlungsansprüchen für Wohnungsbeschaffungskosten, Mietkautionen, Genossenschaftsanteile und Umzugskosten. Insbesondere betrifft § 37 Abs. 4 Satz 1 lediglich die Rückzahlung von Darlehen für vom Regelbedarf umfasste Bedarfe. Eine entsprechende Anwendung des § 37 Abs. 4 Satz 1 oder des § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II für die Zeit bis zum 31.12.2022 dürfte mangels einer planwidrigen Regelungslücke ausscheiden (ebenso Löcken, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., Stand: 25.5.2021, § 35a Rz. 177, unter Bezugnahme auf BSG, Urteil v. 22.3.2012, B 4 AS 26/10 R Rz. 15 ff., zur Rechtslage im SGB II vor Inkrafttreten des § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II; a. A. Falterbaum, in: Hauck/Noftz SGB XII, 6. Ergänzungslieferung 2023, § 35a Rz. 49, der in § 35a Abs. 2 Satz 6 – allerdings ohne Begründung – eine Klarstellung gegenüber der früheren Rechtslage sieht).
Rz. 51
Nach der Entscheidung des BSG (Urteil v. 28.11.2018, B 14 AS 31/17 R, Rz 36 ff. zu § 42a Abs. 2 SGB II i. d. F. bis zum 30.6.2023) stehen einer Aufrechnung mit den laufenden Leistungen zur Tilgung von Mietkautionsdarlehen durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht grundsätzlich entgegen. Dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) ein Gestaltungsspielraum zu, der auch die Leistungsmodalitäten – und damit auch die Aufrechnung nach § 35a Abs. 2 Satz 5 – erfasst. Allerdings ist eine Unterdeckung existenznotwendiger Bedarfe zu vermeiden (vgl. im Einzelnen BSG, a. a. O.). Daher bedarf es hinreichender Kompensationsmöglichkeiten im SGB XII, auf deren Grundlage sonst nicht gedeckte, aber aus verfassungsrechtlichen Gründen tatsächlich zu deckende existenznotwendige Bedarfe während der Aufrechnung im Einzelfall durch ergänzende Leistungen gedeckt werden können. Hierzu gehören im SGB II u. a. die Möglichkeit der Gewährung eines Darlehens für einmalige Bedarfsspitzen vom Regelbedarf umfasster Bedarfe (§ 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II), der Erlass von Rückzahlungsansprüchen bei Unbilligkeit (§ 44 SGB II) sowie zusätzliche Leistungsansprüche zum Regelbedarf für Härtefallmehrbedarfe (§ 21 Abs. 6 SGB II). Das SGB XII enthält in § 37 Abs. 1 eine dem § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II entsprechende Regelung zur Gewährung von Darlehen für einmalige Bedarfsspitzen sowie in dem erstmals zum 1.1.2023 in das SGB XII eingefügten § 30 Abs. 10 auch einen Härtefallmehrbedarf, der im Wesentlichen der Parallelregelung in § 21 Abs. 6 entspricht. Ob die im SGB XII enthaltenen Regelungen ausreichen, um die existenznotwendigen Bedarfe hinreichend sicherzustellen, dürfte ggf. unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen sein.
Rz. 52
Es handelt sich bei der Entscheidung über die Aufrechnung von Darlehensrückzahlungsansprüchen nach § 35a Abs. 2 Satz 6 um eine gebundene Entscheidung. Dem Sozialhilfeträger steht – anders als bei § 37 Abs. 4 Satz 1 (vgl. den Wortlaut: "können" und "bis zur Höhe von jeweils 5 vom Hundert") – weder bezüglich des "Ob" noch des "Wie" Ermessen zu.